Zusammenhang damit könnten dann Kriterien für eine Lotsenannahmepflicht definiert und für
Bereiche außerhalb der Hoheitsgewässer von einer Beschlussfassung der IMO abhängig
gemacht werden, wie das hinsichtlich der Verpflichtungen zur Beachtung von
Wegeführungssystemen und Schiffsmeldepflichten bereits geschehen ist.36 Eine
entsprechende Erweiterung des Kapitels V hätte im Vergleich zu einem eigenständigen
Übereinkommen den großen Vorteil, dass auf das vereinfachte Änderungsverfahren nach dem
SOLAS-Übereinkommen zurückgegriffen werden könnte. Danach können Änderungen des
Kapitels V vom Maritime Safety Committee der IMO mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit der
anwesenden und abstimmenden Vertragsparteien beschlossen werden. Sie gelten als
angenommen, wenn nicht innerhalb einer festzulegenden Frist von mindestens einem Jahr ein
Drittel der Vertragsparteien oder Vertragsparteien mit Handelsflotten widersprochen haben,
deren Tonnage zusammen mindestens 50?% der Welthandelsflotte beträgt. Die Änderungen
treten nach weiteren sechs Monate in Kraft, allerdings nur für die Vertragsstaaten, die nicht
widersprochen haben.37 Auch wenn dieses Verfahren gegenüber dem normalen Verfahren zur
Änderung von Übereinkommen eine erhebliche Beschleunigung ermöglicht, bedeutet es im
Ergebnis dennoch, dass die Regelung nicht für Staaten gilt, die widersprochen haben.
12Eine Regelung in Abänderung des MARPOL-Übereinkommens wäre im Grundsatz zwar
möglich und würde die umweltschützende Zielsetzung dieser Maßnahme betonen, erscheint
aber wenig sinnvoll. Nach der Systematik des Übereinkommens werden Verhaltensvorschriften
in den sechs Anlagen zu dem Übereinkommen festgelegt, die jeweils für die in der einzelnen
Anlage geregelte Art von schädlichen Stoffen gelten. Daher wäre für jede der einzelnen
Schadstoffgruppen zu prüfen, ob eine Lotsenannahmepflicht erforderlich ist, was zumindest
für die Anlagen IV bis VI, die Schiffsabwasser, Müll und Luftschadstoffe betreffen, wohl
auszuschließen wäre. Im Übrigen beschränken sich die Verhal-
Ehlers: Lotsenannahmepflicht in der Kadetrinne(RdTW 2022, 133) 137
tensvorschriften bisher auf das Einleiten von Stoffen, erfassen jedoch keine
verkehrssichernden Maßnahmen. Genauso wenig ist eine Ergänzung des Internationalen
Übereinkommen über die internationalen Regeln zur Verhütung von Zusammenstößen auf
See38 in Betracht zu ziehen, da es von der Systematik her Verkehrsvorschriften für Schiffe
festlegt, nicht jedoch die Befugnisse von Staaten, zusätzliche verkehrssichernde Maßnahmen
zu ergreifen.
b) PSSA-Richtlinien
13Nach längeren Diskussionen über die Notwendigkeit, besonders empfindliche Gebiete vor
schädlichen Schifffahrtsaktivitäten zu schützen, hat die IMO 1991 mit Richtlinien für die
Ausweisung von Sondergebieten und die Identifizierung von besonders empfindlichen
Seegebieten39 ein eigenständiges Regelungsinstrument geschaffen, das inzwischen durch
revidierte Richtlinien für die Identifizierung und Ausweisung von besonderes empfindlichen
Seegebieten40 seine jetzt geltende Fassung erhalten hat. Dabei handelt es sich um als PSSA
bezeichnete Gebiete sowohl innerhalb als auch außerhalb von Hoheitsgewässern, die wegen
ihrer ökologischen, sozio-ökonomischen oder wissenschaftlichen Bedeutung besonderer
Maßnahmen der IMO bedürfen, um sie vor gefährdenden Schifffahrtsaktivitäten zu schützen.
Sofern die IMO zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Gebiet die in den Richtlinien festgelegten
Kriterien an ein PSSA erfüllt, kann sie zusätzliche an die Schifffahrt gerichtete Maßnahmen
beschließen. Voraussetzung ist allerdings, dass für diese Maßnahmen eine Rechtsgrundlage
vorhanden ist, sie sich also aus einem bereits bestehenden Übereinkommen bzw. dessen
Kopie von Peter Ehlers, abgerufen am 08.05.2022 09:05 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK
http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-RDTW-B-2022-S-133-N-1
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