Anlage IV zum Helsinki-Übereinkommen, die bereits einige Verhaltenspflichten für Schiffe
enthält, um die Pflicht zur Annahme von Seelotsen als Bedingung für den Zugang zu den
inneren Gewässern und Häfen des jeweiligen Ostseestaates zu ergänzen. Selbst wenn man
außer Acht lässt, dass eine solche Änderung gem. Art. 19 Abs. 5, 32 Helsinki-Übk.
Einstimmigkeit der Vertragsparteien erfordert, die sich wegen des nach wie vor bestehenden
russischen Widerstandes nicht erreichen lassen dürfte, erschiene eine solche Regelung als
Eingriff auf die auf der Hohen See und damit auch in der AWZ geltenden Schifffahrtsfreiheiten
völkerrechtlich höchst problematisch. Sie hätte nämlich zur Folge, dass Pflichten begründet
werden würden, die weit entfernt von dem jeweiligen Hafen und ohne jeglichen direkten Bezug
zu diesem Hafen erfüllt werden müssten. Diese Bedenken hatten im Übrigen bereits die
Helsinki-Kommission bewogen, schon bei der Vorbereitung der außerordentlichen Sitzung
2001 die Idee einer entsprechenden Änderung des Übereinkommens nicht zu verfolgen;
vielmehr war man sich einig, dass eine Lösung nur im Rahmen der IMO erreicht werden könnte.
3. International
9Wie in den Forderungen vielfach angeklungen, ist die IMO das geeignete internationale Organ,
um zu einer Regelung zu gelangen. Rechtlich sind dabei vor allem zwei Wege in Erwägung zu
ziehen. Zum einen könnte eine Lotsenannahmepflicht durch ein eigenständiges oder in
Ergänzung eines bereits bestehenden internationalen Übereinkommens begründet werden.
Zum anderen ist zu prüfen, inwieweit die IMO für besonders zu schützende Gebiete die
Befugnis zu zusätzlichen Maßnahmen schaffen kann.
a) Regelung durch Übereinkommen
10Zumindest theoretisch wäre es denkbar, dass in der IMO ein eigenständiges internationales
Übereinkommen über das Seelotswesen erarbeitet wird, das dann von einer diplomatischen
Konferenz, die von der IMO organisiert wird, beschlossen werden müsste. In dem
Übereinkommen könnten die Gebiete außerhalb von Hoheitsgewässern bestimmt werden, in
denen eine Pflicht zur Annahme von Lotsen besteht. Oder aber – und das erscheint eher
realistisch – es könnten die Kriterien festgelegt werden, nach denen entweder einzelne Staaten
oder die IMO für bestimmte Seegebiete eine Annahmepflicht ausweisen könnten. Es erscheint
jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass in der IMO die Bereitschaft zu einem solchen
eigenständigen Übereinkommen besteht. Denn es könnte sich schwerlich auf das Problem der
Lotsannahmepflicht außerhalb von Hoheitsgewässern beschränken, sondern müsste auch viele
andere Fragen klären, beginnend mit dem Rechtsstatus der Lotsen bis hin zur Organisation
der Lotsendienste und der staatlichen Verantwortlichkeit. Das dürfte jedoch an der
Unterschiedlichkeit der nationalen Regelungsansätze scheitern, zumal die Notwendigkeit für
eine internationale Vereinheitlichung des Seelotswesens nicht ersichtlich ist.
11Erfolgversprechender erscheint der Versuch, ein bereits bestehendes Übereinkommen um
eine entsprechende Regelung zu ergänzen. In Betracht käme an erster Stelle das SOLAS-
Übk.,32 das in Kapitel V der Anlage Maßnahmen zur Sicherung der Seefahrt festlegt. Bisher
wird dort nur ein für Lotsendienste wichtiger Einzelaspekt behandelt, indem Anforderungen an
die schiffsseitigen Lotsenversetzeinrichtungen aufgestellt werden.33 Zusätzlich könnten aber
generelle Regelungen zum Lotsendienst getroffen werden, indem für die Staaten eine
Verpflichtung geschaffen wird, für derartige Dienste zu sorgen. Damit würden die bereits
bestehenden Verpflichtungen zum Vorhalten bestimmter staatlich veranlasster Dienste34, zu
denen meteorologische, hydrographische und Seenotrettungsdienste gehören, auf eine
weitere für die Sicherheit der Schifffahrt wichtige Komponente erweitert werden.35 Im
Kopie von Peter Ehlers, abgerufen am 08.05.2022 09:05 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK
http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-RDTW-B-2022-S-133-N-1
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