19Will man eine Initiative in der IMO ergreifen, ist es jedoch nicht damit getan, die Einführung
einer Lotsenannahmepflicht vorzuschlagen. Vielmehr wird es erforderlich sein, iE zu klären,
wie ein verbindlicher Lotsdienst ausgestaltet werden sollte. Bisher stehen im Ostseebereich
Überseelotsen bereit, die in der Praxis häufiger nicht nur die Schiffsführung beraten, sondern
in deren Vertretung eigenständige navigatorische Aufgaben wahrnehmen. Völkerrechtlich
verbindliche Anforderungen an Überseelotsen bestehen nicht. Da die Überseelotstätigkeit
außerhalb der nationalen Hoheitsgewässer ausgeübt wird, könnten zumindest theoretisch auch
Personen aus anderen Teilen der Welt als Überseelotsen in der Ostsee tätig werden. In der
Praxis aber handelt es sich um Lotsen, die von einem der Ostseestaaten auf der Grundlage der
Regeln über Mindestanforderungen und Arbeitsbedingungen für Überseelotsen, auf die sich die
Ostseestaaten schon 1979 geeinigt haben.66 In Anerkennung der Bedeutung der
Überseelotsen für die Sicherheit in der Ostsee hat auch die IMO die Schifffahrt aufgefordert,
sich nur qualifizierter Überseelotsen zu bedienen.67 Noch konkreter hat sie empfohlen, sich in
den Ostseezugängen, dazu ist auch die Kadetrinne zu rechnen, der örtlich eingerichteten
Lotsdienste der Küstenstaaten zu bedienen.68 Ob sich der verwendete englische Begriff
„locally“ dabei in enger Auslegung nur auf die unmittelbar an den jeweiligen Bereich
angrenzenden Küstenstaaten bezieht oder die Ostseeanliegerstaaten insgesamt erfasst, bleibt
unklar. In der Schifffahrtspraxis hat sich weitgehend die „port of departure rule“ durchgesetzt,
nach der Schiffe, die aus einem Ostseehafen auslaufen, auf die dort zugelassenen
Überseelotsen zurückgreifen. In die Ostsee einlaufende Schiffe nehmen an den
Ostseezugängen in der Regel einen dänischen oder, wenn sie aus dem Nord-Ostsee-Kanal
kommen, deutschen Überseelotsen. Meist beraten die Überseelotsen die Schiffe auf längeren
Strecken oder während der gesamten Fahrt in der Ostsee.
2. Organisation des Lotsdienstes
20 Basierend auf einer von der IMO geschaffenen internationalen Rechtsgrundlage müsste die
Lotsenannahmepflicht in der Kadetrinne durch das nationale deutsche und dänische Recht
geregelt werden, da es sich um ein Gebiet in der AWZ der beiden Länder handelt. Eine bloße
Vorschrift, die Schiffe verpflichtet, einen Lotsen anzunehmen, allein reicht nicht aus. Vielmehr
müssten die beiden Staaten dafür sorgen, dass jederzeit ausreichend qualifizierte Lotsen zur
Verfügung stehen, denn eine Verpflichtung kann nur begründet werden, wenn der Verpflichtete
auch in der Lage ist, dieser nachzukommen. Es erscheint fraglich, ob es zur Erfüllung dieser
Verpflichtung ausreichen würde, die Annahme eines von einem Ostseestaat zugelassenen
Überseelotsen zu verlangen. Die bloße Vermutung, dass jederzeit schon genügend
Überseelotsen vorhanden sein dürften, genügt nicht. Vielmehr müssten sich Deutschland und
Dänemark im Rahmen von verlässlichen Absprachen mit den anderen Ostseestaaten
Gewissheit verschaffen, dass dies in der Praxis tatsächlich gewährleistet ist. Hinzu kommen
weitere Überlegungen: Geht ein Lotse bereits in einem von der Kadetrinne weiter entfernten
Hafen an Bord, muss sichergestellt sein, dass er seine Tätigkeit in der Kadetrinne ausgeruht
ausübt. Das ist nicht der Fall, wenn er das Schiff bereits viele Stunden seit Ablegen im Hafen
beraten oder sogar eigenverantwortlich navigatorische Aufgaben übernommen hat. In der
Praxis dürfte es für Deutschland und Dänemark vor allem bei ausländischen Lotsen schwierig
sein, zu überwachen, ob notwendige Ruhezeiten tatsächlich eingehalten werden.
Möglicherweise könnte das darauf hinauslaufen, dass in derartigen Fällen die Annahme von
zwei Lotsen vorgeschrieben werden muss. Das macht ein weiteres Problem deutlich. Je länger
ein Lotse an Bord ist und je weiter die An- und Abreisewege des Lotsen sind, desto höher
werden die Kosten, die von dem Schiff zu tragen sind. Schiffe, die den Überseelotsdienst für
Kopie von Peter Ehlers, abgerufen am 08.05.2022 09:05 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK
http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-RDTW-B-2022-S-133-N-1
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