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Chemie
4.5 Radioaktive Stoffe
Stefanie Schmied; Jürgen Herrmann
4.5.1 Einführung
Im Salz des Meeres sind alle chemischen Elemente und damit auch natürliche Radionuklide
enthalten, die primordialen oder kosmogenen Ursprungs sind. Zu den kosmogenen Radio
nukliden, welche durch die kosmische Höhenstrahlung ständig nachgebildet und über die
Atmosphäre ins Meer eingetragen werden, gehören Tritium ( 3 H), 14 C, 7 Be und 32 Si. Die primor
dialen Isotope sind mit dem Weltall entstanden und aufgrund ihrer extrem langen Halbwerts
zeiten noch nicht zerfallen. Zu diesen zählen die Uran-Isotope 235 U, 238 U und 232 Th mit den
intermediären Produkten der zugehörigen drei natürlichen Zerfallsreihen, sowie 87 Rb und 40 K.
Uran liegt im Meerwasser in relativ hoher Konzentration von etwa 2 mg/L vor, während 40 K im
Meersalz in sehr hohen Konzentrationen vorliegt und die Volumenaktivität des Meerwassers
dominiert. Bei allen Betrachtungen der künstlichen Radioaktivität im Meer ist zu beachten,
dass die natürliche Radioaktivität im Ozean insgesamt ca. 14800000 PBq beträgt, offensicht
lich ohne dass die Natur oder der Mensch Schaden nimmt. Das hinsichtlich der Strahlenexpo
sition des Menschen relevanteste Isotop ist der alpha-Strahler 210 Po (aus der Zerfallsreihe des
238 Uran), weil es in manchen Meeresorganismen stark angereichert wird. In Tabelle 4-11 sind
für eine Reihe natürlicher Radionuklide neben den Halbwertszeiten typische Hintergrundakti
vitäten in Meerwasser und Sediment angegeben (BMU 2002).
Die von natürlichen Radionukliden ausgehende ionisierende Strahlung gehört zu den Rah
menbedingungen, unter denen Leben entstanden ist und fortbesteht. Im Rahmen der atmo
sphärischen Kernwaffenversuche der 1950er und 1960er Jahre wurden jedoch erhebliche
Mengen künstlicher Radionuklide freigesetzt, die als radioaktiver Niederschlag (Fallout) zu
einer noch heute gut messbaren globalen Kontamination führten. Auch die industrielle Nut
zung der Kernenergie war und ist mit einer zusätzlichen Belastung der Umwelt - und damit
auch der Meeresumwelt - durch künstliche Radioisotope verbunden. Jedoch stammen auch
im Jahr 2000 noch mehr als 90% des im Weltozean vorhandenen Inventars des wichtigsten
künstlichen Radionuklids 137 Cs aus dem Fallout (AARKROG 2003).
Alle der weit über 2000 verschiedenen künstlich erzeugten Isotope, die nicht in der Natur
Vorkommen, sind radioaktiv. Zu jedem Element ist heute mindestens ein radioaktives Isotop
bekannt. Der Umstand, dass sich diese Isotope chemisch praktisch nicht von den stabilen
(nicht radioaktiven) Isotopen des jeweiligen Elements unterscheiden, hat zur Folge, dass ne
ben den stabilen auch radioaktive Isotope im Sediment oder in der Nahrungskette angerei
chert werden.
Das Nuklid "Tc (Halbwertszeit 210000 Jahre) reichert sich beispielsweise mit einem Faktor
> 10 5 (gegenüber der Volumenaktivität im Meerwasser) in Braunalgen, wie Blasentang oder
Sägezahntang, aber auch in Hummer an, während der Anreicherungsfaktor für das dosisrele
vante Nuklid 137 Cs (Halbwertszeit 30 Jahre) in Meeresfischen nur etwa 100 beträgt (IAEA 1985,
AARKROG et al. 1997, NIES und KANISCH 2003). Tritium hingegen, das von kerntechnischen
Anlagen freigesetzt wird, aber auch auf natürliche Weise durch kosmische Höhenstrahlung
entsteht, wird in Biota praktisch nicht angereichert.