Organische Stoffe
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4.3 Organische Stoffe
Norbert Theobald
4.3.1 Einführung
Von den heute bekannten über 18 Mio. chemischen Substanzen sind die meisten organische
Verbindungen. Davon besitzen ca. 20 000 industrielle Bedeutung und werden in größeren
Mengen hergestellt. Etwa 2000 Verbindungen gelten als umweltrelevant (Schadstoffe), weil
sie giftig (toxisch) oder in der Umwelt beständig (persistent) sind und/oder sich in der Nah
rungskette anreichern (bioakkumulieren) können. 100 bis 300 dieser Verbindungen sind zzt. in
Listen prioritär zu behandelnder Stoffe erfasst (EU, EPA, OSPAR, HELCOM).
Die in diesem Bericht betrachteten Substanzen stammen größtenteils aus industrieller
Produktion und gelangen durch menschliche Aktivitäten in die Meeresumwelt. Gegenwär
tig überwacht das BSH routinemäßig ca. 100 organische Schadstoffe, die aufgrund ihrer
Umweltrelevanz von besonderer Bedeutung sind oder als Leitsubstanzen für ganze Schad
stoffklassen angesehen werden (THEOBALD 1998). Unter den Schadstoffen finden sich Ver
bindungen sehr unterschiedlicher chemischer Struktur, die sich in der Umwelt entsprechend
verschieden verhalten können.
Viele „klassische“ Schadstoffe sind lipophil (fettlöslich) und damit nur in geringem Maße
wasserlöslich. Sie reichern sich daher besonders in Sedimenten und im Fettgewebe von
Organismen an. Da sie zudem oft hochgradig persistent sind, wird eine Akkumulation inner
halb der Nahrungskette begünstigt. Die Anreicherung und damit Belastung eines Organismus
ist dabei umso größer, je hochrangiger seine Stellung in der Nahrungskette ist. Neben der
unmittelbaren toxischen Wirkung der aufgenommenen Substanzen können im Organismus
erzeugte Abbauprodukte zu einer Verstärkung der Schadstoffwirkung führen.
Von besonderer Bedeutung sind Schadstoffe, die hormonelle Wirkungen erzeugen (z. B. DDE,
Dieldrin, TBT). Diese als Umweltöstrogene oder Xenoöstrogene bezeichneten organischen
Verbindungen sind hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung und Struktur - und damit
auch in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften - sehr heterogen. Indem sie in
die hormonellen Regelkreise von Organismen eingreifen, sind Funktionsstörungen mit nega
tiven Folgen für Fortpflanzung und Entwicklung möglich, die oft bereits bei extrem geringen
Konzentrationen auftreten.
Anthropogene organische Schadstoffe sind im Meer ungleichmäßig verteilt und kommen in
sehr unterschiedlichen Konzentrationen vor. Ihre Verteilung in der marinen Umwelt ist von
vielfältigen Faktoren abhängig. Neben den Eintragsquellen (Schifffahrt, Industrie, Haushalt,
Landwirtschaft), Eintragsmengen und Eintragspfaden (direkt über Flüsse, diffus über Atmo
sphäre) sind die charakteristischen physikalischen und chemischen Eigenschaften der Schad
stoffe und der dynamisch-thermodynamische Zustand des Meeres für Ausbreitungs-, Ver-
mischungs- und Verteilungsprozesse relevant. Die relative Einflussstärke all dieser Variablen
kann dabei von Stoff zu Stoff sehr verschieden sein und hat zur Folge, dass sich nur wenige
Schadstoffe konservativ verhalten; d. h. ein einfacher Zusammenhang zwischen der Konzen
tration anthropogener Stoffe und hydrodynamischen Variablen ist selten erfüllt. Allenfalls für
regional begrenzte Gebiete mit klaren Quellenzuordnungen lassen sich einfache Korrelationen
finden und nutzen. Für eine Zustandsbeschreibung ist daher eine separate und differenzierte
Betrachtung der verschiedenen Schadstoffklassen unumgänglich.