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Sylvin H. Müller-Navarra, Sturmfluten in der Elbe und deren Vorhersage im Wandel der Zeiten
so differenziert gewordenen Wissenschaft -
zuweilen sogar mit eigentlich ,, primitiven“
Methoden gelingt, das Wetter am besten vor
herzusagen. “
Trotz alledem hat es aber in den zurücklie
genden 50 Jahren einen Siegeszug der nume
rischen Wettervorhersage (NWV) gegeben
(Reiser, 2000), der letztlich auch in der Ver
besserung der Sturmflutvorhersage abzulesen
ist (Jensen und Müller-Navarra, 2008). Bis
jedoch Wettervorhersage- und Wasserstands
modelle automatisch, ohne manuelle Eingriffe
gekoppelt wurden, vergingen noch fast 30
Jahre. Das lag nicht nur an technischen Pro
blemen, sondern auch daran, dass man den
Aufwand einer solchen Modellkette scheute,
weil man sich mit synoptischen Verfahren der
Wettervorhersage und empirischen Methoden
der Wasserstandsvorhersage (Annutsch, 1978)
den Modellverfahren als mindestens ebenbür
tig fühlte.
Zunächst machte man auf Meteorologenseite
entscheidende Fortschritte. In der zweiten
Hälfte der 1960er Jahre deutete sich schon
beim Deutschen Wetterdienst an, dass die
numerische Wettervorhersage (Oeckel, 1979)
dem Scherhag 1 sehen Ansatz zumindest eben
bürtig ist (Balzer, 2002), wobei noch nicht
alle wesentlichen Wetterelemente numerisch
vorhergesagt werden konnten. Als schließlich
die vorhergesagten Bodenluftdruckfelder via
Global Telecommunication System (GTS)
verfügbar wurden, konnte man Anfang der
1980er Jahre auf seiten des BSH ein Wasser
standsmodell der Nordsee nachschalten
(Soetje und Brockmann, 1983). Aber auch
nach 27 Jahren wird aus guten Gründen nicht
auf eine persönliche Beratung durch einen
Meteorologen verzichtet, obschon letzterer
natürlich auch die verschiedenen international
verfügbaren Atmosphärenmodelle zu Rate
zieht. Aktuell stützt sich die Sturmflutvorher
sage für die Elbe auf eine Modellkette, beste
hend aus den DWD-Modellen GME (global)
und LME (Europa) (Steppeier et al., 2003)
und dem nachgeschalteten Modell BSHcmod
für Nord- und Ostsee (Dick et al., 2001). Das
2-dimensionale BSH-Modell läuft dabei täg
lich viermal mit den Startterminen 0, 6, 12
und 18 Uhr UTC.
Man kann prächtig darüber philosophieren, ob
heutzutage noch ein erfahrener Synoptiker
klassischer Prägung in der Wettervorhersage
benötigt wird (Balzer 2002). Zumindest bei
Extremereignissen, wie es Sturmflutwetterla
gen sind, geht es ohne den Menschen nicht.
So hat z. B. das Orkantief „Kyrill“ im Jahre
2007 eindrücklich die Grenzen der numeri
schen Wettervorhersage aufgezeigt. Vermut
lich wegen der mangelhaften Messdatendichte
auf offener See berechneten die Modelle die
Zuggeschwindigkeit des Orkantiefs über der
Nordsee nicht genau genug (Müller-Navarra,
2008). Natürlich geht es heute nicht mehr
darum, auf der Basis unterschiedlicher (Hö
hen-) Wetterkarten und Tendenzkarten mit
Regeln der Synoptik Vorhersagekarten zu
konstruieren, sondern vielmehr darum, die
zahlreichen automatischen Produkte aus der
NWV zu bewerten, gegebenenfalls einzelne
(extreme) Wetterelemente anders vorherzusa
gen und entsprechende Warnungen abzulei
ten. Dass dabei synoptische Fähigkeiten und
intime Kenntnisse der Atmosphärenmodellie
rung nötig sind, ist offensichtlich.
Organisatorisches
Bis Ende des ersten Weltkrieges war der
Windstaudienst eine interne Angelegenheit
der Kriegsmarine und beim Marineobservato
rium in Wilhelmshaven angesiedelt. Für die
sen Zweck war ein Verfahren entwickelt wor
den, welches ein homogenes Windfeld über
der Nordsee voraussetzte und daher für
Sturmfluten nur eingeschränkt benutzbar war
(Leverkinck, 1915).
Vor dem 2. Weltkrieg bis 1937 waren die
meteorologische Vorhersage und die Sturm
utvorhersage in der Deutschen Seewarte
örtlich vereinigt. Schaut man die Jahresberich
te der Seewarte der 1920er und 1930er Jahre
urch und vergleicht darin die Abschnitte
” t^rmflutwamungsdienst“ untereinander und
en Verhältnissen heute, so wird deutlich.
ass s ' c ^ organisatorisch-konzeptionell bis
Hamburg - die Elbe und das Wasser sowie weitere wassertustonsche Beitrage Schnftn,
er DWhO. Band 13, Siegburg 2009. ISBN 978-3-8370-2347-3