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Hamburg - die Elbe und das Wasser sowie weitere wasserhistonsche Beitrage, Schriften der DWhG, Band 13, Siegburg 2009, ISBN 978-3-8370-2347-3
Sturmfluten in der Elbe und deren Vorhersage im Wandel der Zeiten
Sylvin H. Müller-Navarra
Zusammenfassung
In der Nordsee, wo die Gezeiten mit Ebbe und
Flut den regelmäßigen Wechsel des Wasser
standes bestimmen, sind Sturmfluten zeitlich
eng an den von Mond, Sonne und Erdrotation
bestimmten Rhythmus gebunden. Im Gezei
tenstrom Elbe ist es aber nicht der Sturm di
rekt über dem Elbestrom, sondern derjenige
über der Deutschen Bucht, der die Sturmflut
scheitelwasserstände in der Elbe maßgeblich
beeinflusst. Im Elbestrom selbst wird die
Sturmflutwelle nur noch wenig vom lokalen
Wind verstärkt, aber bei ihrer Wanderung
stromauf bis an die Tidegrenze durchaus noch
deutlich erhöht. Das ist typisch für Tideflüsse,
macht die Vorhersage von Sturmfluten für
Tidehäfen wie Hamburg jedoch schwierig.
Vorhersagen der Wasserstände brauchten die
Menschen an der Elbe schon immer. Nur war
en die technischen Möglichkeiten früher sehr
begrenzt. Ohne Datenfernübertragung konnte
die schon im 17. Jahrhundert vorhandene Er
kenntnis, dass vornehmlich nordwestliche
Winde an der Nordseeküste für Sturmfluten in
Hamburg verantwortlich sind, nicht für eine
Vorhersage genutzt werden. Später war man
bemüht, aus den Wasserständen in Cuxhaven,
die man schon Mitte des 19. Jahrhunderts
nach Hamburg telegraphieren konnte, auf
Sturmflutscheitelwasserstände in Hamburg zu
schließen. Damit war schon eine Vorwarnzeit
von gut 4 Stunden möglich geworden. Die
Vorwarnzeit konnte erst dann bedeutend aus
gedehnt werden, als Meteorologen in der Lage
waren, aus den telegraphierten Wettermel
dungen und aus der synoptischen Betrachtung
der daraus gezeichneten Wetterkarten Vorher
sagen des Windes in der Deutschen Bucht
abzuleiten. Ein wirksamer Sturmflutwam-
dienst existiert erst seit gut 80 Jahren, als an
der Deutschen Seewarte Meteorologen und
Ozeanographen begannen, die bereits vorhan
denen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu
operationellen Verfahren zu verknüpfen.
Erste Sturmflutwamungen über Rundfunk gab
es bereits in den 1920er Jahren. Seit den
1970er Jahren haben insbesondere die opera
tioneilen hydrodynamisch-numerischen Mo
delle der Atmosphäre und des Meeres für
weitere Innovationsschübe gesorgt. Heute ist
das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydro
graphie (BSH) - die Nachfolgeinstitution der
Seewarte und des Deutschen Hydrographi
schen Instituts (DHI) - als zentrale Meeres
behörde für Wasserstandsvorhersagen ein
schließlich Gezeiten und Sturmfluten an der
gesamten deutschen Küste zuständig.
Einleitung
Eine Sturmflut ist eine durch Sturm verstärkte
Flut. Demnach können in der Elbe überall
dort, wo die Gezeiten wahrnehmbar sind, auch
Sturmfluten auftreten. Bei der hier angestell-
ten geschichtlichen Betrachtung über die Ver
hältnisse in der Unterelbe bei Sturmfluten und
die Entwicklung von Wasserstandsvorher
sageverfahren geht es hauptsächlich um Ham
burg und Cuxhaven. Während Cuxhaven, im
Mündungstrichter der Elbe liegend, mehr den
Charakter eines Küstenortes der Nordsee hat,
ist Hamburg, gut 100 km stromauf liegend,
ein weit von der offenen Küste gelegener Ti
dehafen (Abb. 1).
Normalerweise sind die Gezeiten nur stromab
der Staustufe bei Geesthacht wahrnehmbar,
die 1957-1960 erbaut wurde. Das dort befind
liche Wehr kann bei schweren Sturmfluten zur
Entlastung gelegt werden, so dass genau ge
nommen auch stromauf vom Wehr Sturmflu
ten auftreten können. So beeinflusste die bis
her höchste Sturmflut in Hamburg am
3.1.1976 die Wasserstände oberhalb des Weh
res bis Neu-Darchau, das 80 km stromauf von
Hamburg liegt.