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Dt. Hydrogr. Z. 45, 1993. H. 2. Heise, Norddeutsche Seewarte
Unter der Führung Neumayers entfaltete die Seewarte eine überaus erfolgreiche Tätigkeit
in ihren Fachgebieten Meereskunde, Meteorologie und Nautik. International erwarb sie sich
eine führende Stellung. Sie war an fast allen deutschen Polarexpeditionen und an allen großen
ozeanographischen Expeditionen beteiligt. Neumayer war einer der Initiatoren des Ersten
Internationalen Polarjahrs 1882/83, er hat die Arktische Internationale Kooperation 1900-1905
angeregt und beeinflußt. An dem Zweiten Internationalen Polarjahr 1932-1933 war die
Seewarte führend beteiligt.
Neumayer leitete sie von ihrer Gründung 28 Jahre lang bis 1903. Er war wegen der
Verbindung von Hochschulstudium und praktischer Seemannschaft der geeignete Leiter dieses
Instituts, das Wissenschaft und Seefahrt miteinander verband.
Er verstand es auch, ausgezeichnete und profilierte Mitarbeiter für die Seewarte zu
gewinnen. Gerhard Schott veröffentlichte 1903 seine „Physische Meereskunde“, 1912 die
„Geographie des Atlantischen Ozeans“ und 1935 die des Indischen und des Stillen Ozeans,
beides jahrzehntelange Standardwerke. Das gleiche gilt für Otto Krümmels zweibändiges
„Handbuch der Ozeanographie“ (1907/1911). Krümmel war nur kurze Zeit 1882/83 an der
Seewarte tätig. Heinrich Rauschelbach konstruierte Strommesser und die Gezeitenrechenma
schine, die in den 30er Jahren aufgestellt wurde und noch vom Deutschen Hydrographischen
Institut in den 60er Jahren benutzt wurde. Otto Pratje und Arnold Schumacher nahmen an der
berühmten „Meteor“-Expedition in den Südatlantik 1925-27 teil und schrieben Beiträge für das
36bändige Meteor-Werk. Erwähnt werden müssen auch Hermann Thorade, Bruno Schulz, Kurt
Kalle und Gerhard Neumann.
Auf dem Gebiet der Geophysik sind vor allem Friedrich Errulat, der Verfahren für
erdmagnetische Messungen auf See entwickelte und die magnetische Reichsvermessung orga
nisierte, und Alfred Wegener zu nennen. Wegener befrachtete die Geophysik durch neue Ideen,
besonders durch seine Theorie der Kontinentalverschiebung, die er 1915 unter dem Titel „Die
Entstehung der Kontinente und Meere“ publizierte. Er starb 1930 während einer Grönlandex
pedition.
Der berühmteste Meteorologe der Seewarte war Wladimir Koppen. Er war der erste, der
die Erde in Klimazonen einteilte (Klimalehre, 1899; Klimakunde, 1906; Die Klimate der Erde,
1923). Die Seewarte veröffentlichte 1876 die erste deutsche synoptische Wetterkarte. Von 1934
an erschienen auch regelmäßig Höhen Wetterkarten. Ab 1935 nahmen etwa zehn deutsche
Handelsschiffe Höhenwindmessungen vor, die der meteorologischen Beratung der südatlanti
schen Flüge der Lufthansa und der Atlantiküberquerungen der Luftschiffe dienten.
Eine so wichtige Institution wie die Seewarte gab auch ihre eigenen Zeitschriften heraus.
Dies waren insbesondere die „Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie“, die seit
1873 von der Admiralität - zunächst unter dem Titel „Hydrographische Mittheilungen“ - und
von 1892 an von der Deutschen Seewarte publiziert wurden. Sie erschienen bis 1944 und
wurden von 1948 an in ihrem hydrographischen Bereich unter dem Titel „Deutsche Hydrogra
phische Zeitschrift“ vom Deutschen Hydrographischen Institut weitergeführt. Der meteorologi
sche Teil wurde in den „Annalen der Meteorologie“ fortgesetzt.
Von 1878 an erschien die wissenschaftliche Reihe „Aus dem Archiv der Deutschen
Seewarte“, ab 1937 als „Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservato
riums“ gemeinsam mit dem Marineobservatorium bis 1943. Heute wird sie mit den „Ergän
zungsheften zur Deutschen Hydrographischen Zeitschrift“ fortgesetzt.
Die Tätigkeit der Deutschen Seewarte endete im Mai 1945. Ihre Fortsetzung fand sie im
Dezember 1945 im Deutschen Hydrographischen Institut, das auch die Aufgaben des Marineob
servatoriums und des Hydrographischen Dienstes übernahm. Damit war eine Institution ge
schaffen, die in vielen Bereichen wissenschaftliche Forschung auf See betrieb und Dienste für
die Seeschiffahrt leistete, wie sie wohl schon Freeden und Neumayer vorgeschwebt haben
mag.
Die meteorologischen Aufgaben gingen auf das Meteorologische Amt für Nordwest
deutschland, das heutige Seewetteramt des Deutschen Wetterdienstes, über.