Die Küste, 76 (2009), 193-198
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Auch BSH-MOS benötigt zeitnah den Windstau von denjenigen Pegeln, die in den
MOS-Gleichungen auftauchen. Da eine stündliche Aktualisierung der Scheitelwertvorher
sagen angestrebt wird, werden die aktuellen Pegeldaten von z. Zt. 31 Pegeln nunmehr auto
matisch (Müller-Navarra, 2009b) viertelstündlich nach neuen Scheitelwerten durchsucht
und der zugehörige Windstau festgestellt.
Es ist vorgesehen, ab 2010 die manuelle Methode nur noch nach Bedarf einzusetzen,
wenn die aktuellen Pegeldaten aus der WDFU zu große Lücken aufweisen oder die Daten
augenscheinlich fehlerbehaftet sind.
2.8 Empirisch-statistische Verfahren
Empirische Windstauformeln können ganz einfache Zusammenhänge zwischen den
Wind- und Luftdruckverhältnissen auf See und dem lokalen Windstau sein (Ortt, 1897). Mit
größerem Rechenaufwand lassen sich per multipler Regression kompliziertere Zusammen
hänge zwischen vielerlei (zumeist meteorologischen) Prädiktoren und dem Prädiktanden
Windstau ableiten (Müller-Navarra und Giese, 1999). Mehr noch als bei den MOS-Ver-
fahren, bei denen das numerische Modell überragende Bedeutung hat, besteht bei den rein
messwertbasierten, statistischen Verfahren die Gefahr, dass Persistenzterme und einbezogene
Wasserstände von Nachbarpegeln die Vorhersagequalität im Einzelfall - insbesondere bei
schmalen Windstrichen - stark beeinträchtigen können.
Als Ergänzung zu den hier beschriebenen numerischen und anderen Verfahren eignen
sich empirisch-statistische Methoden mit kleinräumiger Gültigkeit, wie für Nordfriesland
herausgearbeitet und im hier vorliegenden Band geschildert (Dibbern und Müller-Na-
varra, 2009). Damit können im Sturmflutfall bei geeigneter Wahl eines Bezugsortes regi
onale Stauunterschiede berechnet werden. Aber auch hier muss zunächst der Wasserstand
am Bezugsort richtig vorhergesagt werden, um zu absoluten Scheitelwasserständen zu ge
langen.
Heute verbleibt den empirisch-statistischen Verfahren jedenfalls die wichtige Rolle einer
Rückfallposition für einen erfahrenen „Windstauer“, besonders, wenn die numerischen Mo
dellketten ausfallen oder offensichtliche Fehlvorhersagen produzieren. Letzteres zu beurtei
len, erfordert die intensive Zusammenarbeit mit synoptisch versierten Meteorologen.
2.9 Synoptik, Modellinterpretation
Mittlerweile stehen für die Windvorhersagen an der deutschen Nordseeküste Vorhersa
gen aus mehreren Atmosphärenmodellen zur Verfügung. In aller Regel unterscheiden sich
die Ergebnisse dieser Modelle im hier relevanten Vorhersagebereich von bis zu 3 Tagen nicht
sonderlich. Durch Visualisierungswerkzeuge wie z.B. NINJO-Workstation, das im Rahmen
eines internationalen Projekts mit Beteiligung des DWD entwickelt wurde, ist der Meteoro
loge in die Lage versetzt, die Vorhersagen mehrerer Atmosphärenmodelle (GFS, GME/
COSMO-EU, ECMWF, HIRLAM usw.) gleichzeitig mit Stationsmeldungen zu verglei
chen. Ergebnis eines solchen Vergleichs kann im Einzelfall sein, dass der Meteorologe sich
bei seiner Beratung des „Windstauvorhersagers“ auf ein anderes Modell als GME/COSMO-
EU festlegt und damit auch die beschriebene automatisierte Kette zu verwerfen ist. Im sel
tenen Extremfall greift die klassische Synoptik, und es kommen ausschließlich die alten
Windstautabellen zur Anwendung. Meist genügt es aber schon, die numerische Vorhersage