Schröder, G.: Weiteres vom „Grünen Strahl“.
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Weiteres vom „Grünen Strahl“.
Von Kapitäa Gustav Schröder, D. „Kyphissia“ der H.-A. L.
Einige Leser meiner Ausführungen über den „Grünen Strahl“, welche 1935
in Heft Nr. IX der Annalen veröffentlicht wurden, haben mich gefragt, ob das
Phänomen bei Sonnenaufgang ebenso, jedoch in umgekehrter Reihenfolge, aufträte
wie beim Untergang, und warum ich keine Abbildung davon gebracht hätte. Die
Frage ist berechtigt, denn die atmosphärischen Voraussetzungen sind morgens
nach der Ausstrahlung ganz andere als abends nach der Einstrahlung. Ich habe
noch keine Bilder davon gebracht, weil mir noch zu wenig Beobachtungen von
Aufgängen zur Verfügung stehen, In der Tabeile 1 [a. a. O. S. 337] meiner Beob-
achtungen vom Januar 1934 sind zwei Aufgänge angegeben, einer vor der Nil-
mündung und einer bei Ceylon, der eine mit violettem Strahl, der andere mit matt-
grünem Strahl. Es erschien tatsächlich erst ein violettes beziehungsweise matt-
grünes Oval über der Kimm, doch war der Übergang zu dem feurigen Gelb so
schnell, daß mir der Vorgang nicht genügend genau zum Bewußtsein kam, um
Ihn zeichnerisch festzuhalten. Es ist erklärlich, daß man nicht so viele Beob-
achtungen von Aufgängen bekommt. Man kann nicht immer genau erkennen,
wo der erste Strahl auftauchen wird, so daß man ihn dann nicht im Gesichts-
Felde des (Glases hat. Es wird aber später mehr Material beigebracht werden,
denn es ist ja immerhin möglich, daß einzelne Vorgänge des Phänomens beim
Aufgang anders auftreten als beim Untergang. Aber daß der Grüne Strahl bei
Sonnenaufgang überhaupt auftritt, ist ganz sicher.
Inzwischen habe ich auch Gelegenheit gehabt, bei Frostwetter auf nördlichen
Breiten den Grünen Strahl bei Sonnenuntergängen zu beobachten. So am
6. Dezember 1935 vor New York bei Nordwind und sehr hohem Barometerstand
nach einem Schneesturm, einem sogenannten „Blizzard“. Es war außerordentlich
klares und sichtiges Wetter, tzunm — 5° Celsius. Von dem Augenblick an, als das
leuriggelbe in ein grünes Oval übergegangen war, bis zum Verschwinden konnte
ich 15 Sekunden zählen, und es war beinahe der schönste Grüne Strahl, den ich
jemals sah. Das Grün war ein Smaragd von seltener Reinheit. In der Nordsee
im Herbst dauerte der Vorgang 8 Sekunden, Hieraus ist der Schluß zu ziehen,
daß der Vorgang um so länger dauert, je waagerechter die Sonne den Horizont
passiert. In den Tropen, wo die Sonne senkrechter, unter Umständen genau senk-
recht untergeht, dauert der Vorgang 3 bis 4 Sekunden, mitunter noch weniger.
Das entspricht den Erwartungen.
Bei dieser Gelegenheit mache ich darauf aufmerksam, daß in der Gegend
der Polarkreise, wo die Sonne bei entsprechender Breite und Deklination im
Sommer um Mitternacht nur so weit verschwindet, oder im Winter am Mittag
nur so hoch kommt, daß der Oberrand eine Zeitlang eben über dem Horizont
entlang geht oder den Horizont nur tangiert, ganz besondere Beobachtungen
möglich sind. Es muß dort Gelegenheit sein, den Grünen Strahl minutenlang zu
beobachten. Wer diese Gegend häufiger besucht oder dort an der Küste wohnt,
sollte sich daran beteiligen.
Kurz nach Niederschrift dieser Zeilen bekam ich von einer Leserin meiner
Beobachtungen des Grünen Strahls das 1. „Kosmos“-Heft des 23. Jahrganges zu-
geschickt, in welchem ein aufschlußreicher Artikel mit Bildmaterial über die
Erscheinung zu finden ist. Der Verfasser ist T, Kellen. Aus dem Aufsatz geht
hervor, daß vor mehr als zehn Jahren das Auftreten des Grünen Strahles bei
Sonnenaufgängen schon als Argument benutzt wurde gegen die Annahme, der
Grüne Strahl sei nur eine optische Täuschung. Das Auge habe, so glaubte man,
bei längerem Anschauen der orangeroten Sonne die Empfindlichkeit für diese
Farbe verloren und wäre dann im letzten Augenblick nur noch imstande, das
Grüne wahrzunehmen. Daß aber das noch ganz unermüdete Auge auch bei
Sonnenaufgang den grünen Strahl wahrnimmt, ist ein Beweis dafür, daß es sich
um eine wirkliche Erscheinung handelt, Da nicht allen Interessenten das erwähnte