ZA
Zweites Köppen-Heft der Annalen der Hydrographie usw. 1936.
volles Bild. Man kann diese Erscheinung nur darauf zurückführen, daß die
Stromlinien der einbrechenden Strömung sich eng dem Profil der
Berghänge anschmiegen und hart am Ufer mit großer Vertikal-
komponente einfallen. Voraussetzung hierfür ist, daß das gebremste Strö-
mungsmaterial, das vorher an den Unebenheiten und der Bewaldung der Berg-
hänge haftete, abgesaugt worden ist, Im anderen Falle würde am Uferhange
sich eine Zone stark verwirbelter Strömung ausgebildet haben, der Einfall der
Westströmung erst in größerer Entfernung vom Ufer und in anderer Form
erfolgen und das Gesamtströmungsbild ein ganz anderes gewesen sein. Der
charakteristische, wirbelfreie Stromlinienverlauf der Föhnströmung dürfte mithin
auf das Absaugen der Bodenströmung zurückzuführen sein.
All diese Beobachtungen sprechen dafür, daß die unterste aufgesplitterte
Bodenströmung das Gepräge einer aerodynamischen Grenzschicht trägt und als
„virtuelle Grenzschicht“ anzusprechen ist.
Aus der Auffassung der Bodenströmung als Grenzschicht lassen sich weitere
meteorologische Vorgänge unter gemeinsamem Gesichtswinkel betrachten:
Über Land sind die untersten Luftschichten zur Zeit starker Einstrahlung
häufig sehr stark überhitzt; ihre potentielle Temperatur entspricht häufig der
in den oberen Teilen der Reibungsschicht, in 500 bis 1000 m Höhe, Selbst bei
Wind findet trotzdem kein allgemeines Aufsteigen statt, vielmehr lösen sich an
bestimmten Stellen Massen überhitzten Bodenmaterials aus der Grundströmung
ab und werden in der Außenströmung aufwärts getragen. Solche Stellen bevor-
zugten Ablösens sind Baumreihen, Waldränder, Gebäude — Stellen, an denen
sich der Bodenströmung Hindernisse entgegenstellen und die Grenzschicht gestört
wird, Die Bildung der Wärme-Cu beginnt über Waldrändern, über Hügeln,
über Städten und ähnlichen Geländen verwirbelter Strömung. Daß selbst an
Bergen die Warmlufthaut bei Wind am Boden haftet, wie Geiger (a.a. 0.) nach-
gewiesen hat, zeigt die Zähigkeit der virtuellen Grenzschicht, Um einen grob
mechanischen Vergleich für diese Vorgänge zu gebrauchen: die kleinen Turbulenz-
elemente der aufgesplitterten Grenzschichtströmung werden über ungestörtem
Gelände trotz starken Auftriebs von einer unverwirbelten Außenströmung am
Boden gehalten. Man gewinnt den Eindruck, als.ob die Bodenströmung kine-
matisch einen Fremdkörper in der bewegten Luftmasse darstellt,
Bei Kaltlufteinbrüchen bildet sich über Wasserflächen höherer Öberflächen-
temperatur eine mehrere Meter hohe angewärmte Luftströmung aus, in der leb-
hafter thermischer Austausch herrscht, und in der sich die bekannten optischen
Erscheinungen der „zerhackten“ Kimm, der gehobenen Kimm oder Küste oder
der Spiegelung von Küste oder Schiffen nach unten zeigen, wie man sie über
unseren heimischen Meeren, namentlich über dem Wattenmeer, über den großen
Flußmündungen und über warmen Meeresströmungen häufig beobachten kann.
Die optischen Erscheinungen beschränken sich auf die unteren Meter, um ober-
halb einer bestimmten Beobachtungshöhe (Schiff, Strand) zu verschwinden. Daß
sie trotz starken und hochreichenden Temperaturgefälles in der Kaltluftmasse,
trotz Wind und Seegang oft längere Zeit hindurch zu beobachten sind, spricht
dafür, daß auch sie eine Erscheinung der zähen, virtuellen Grenzschicht sind,
Selbstverständlich wirken bei diesen Vorgängen thermodynamische und
Strahlungsvorgänge mit; hier soll nur auf die kinematische Seite hingewiesen
and der Strömungszustand beschrieben werden.
Die Höhe der Grenzschichtströmung dürfte diejenige Höhe sein, bis zu der
Turbulenzelemente einer bestimmten Größenordnung!) herabreichen, und unter-
halb von der nur noch die kleineren Turbulenzelemente der zersplitterten Boden-
strömung vorkommen können. Wahrscheinlich ist die virtuelle Grenzschicht die
kinematische Voraussetzung dafür, daß sich ein Kleinklima der bodennahen Luft-
schicht ausbilden kann,
2. Schraubenströmung,
Strömt Warmluft über kalte Meeresgebiete, so wird sie von unten ständig
abgekühlt, da die sehr geringe Tagesschwankung der Oberflächentemperatur des
1) W. Findeisen, Met. Z. 1936, 8, 6.