Prüfer, G.: Die Eisverhältnisse in d. deutschen u. d., ihnen benachbarten Ost- u, Nordseegebieten. 45
Dieser Tabelle entnehmen wir, daß die Eintrittszeit des Temperaturminimums
in diesem Areal (nordöstlich Gotlands) allgemein in die Mitte des März fällt.
Während in milden und mäßigen Wintern das. Temperaturminimum noch erheb-
lich oberhalb der Gefriergrenze liegt, wird sie in strengen Wintern sogar um
ein weniges unterschritten. Ostseewasser gefriert in jenem Gebiet mit einem
Salzgehalt von etwa 7°) bei —0.4° C. Da die Frostwetterlage in strengen Wintern
noch die Mitte des März überdauert, so sind die Vorbedingungen für die Ver-
eisung der Ostsee, zumindest bis in jene Breite, von N aus gerechnet, gegeben,
und es ist leicht einzusehen, daß, wenn die Vereisung des Seeraums einmal ein-
zetreten ist (sie kann nach obiger Tabelle bereits Anfang März beginnen), durch
lie alsdann begünstigte Ausstrahlung die Frostwetterlage noch weiterhin aktiv
gehalten werden kann. Mit diesem Befund erhalten die Darstellungen einer derart
ausgedehnten Vereisung ihre physikalische Erklärung.
Wir stellen uns daher die Vereisung in der Ostsee folgendermaßen vor:
Zunächst gefrieren die seichten Buchten und tieferen Einschnitte an den Küsten,
bis sich an diesen allmählich ein Eissaum bildet. Durch Wind und Strom werden
dann Eisschollen in die See hinausgetrieben, die dazu beitragen, das Oberflächen-
wasser abzukühlen. Durch das dauernde Anwachsen der Küsteneisgürtel wird
auch der Zustrom-von Treibeis zum Seegebiet immer größer. Dieser Vorgang
erfolgt jedoch nur langsam. Erst wenn Ende Februar, Anfang März die Ober-
Mächentemperatur die Gefriergrenze erreicht, wachsen die Treibeisschollen rasch
zu Treibeisfeldern und diese zu einem großen, den ganzen Seeraum bedeckenden
Eismassiv zusammen, Die Oberflächentemperatur — bzw. die Temperatur der
oberen Wasserschicht — bleibt dann noch bis zum April innerhalb der Gefrier-
grenze. Daher nimmt das Eis bis dahin an Mächtigkeit noch zu. Mithin muß
dann auch der Höhepunkt der Vereisung im Ostseeraum in eine derart relativ
späte Zeit — etwa die zweite Märzhälfte — fallen. Diese Vorstellung erweist sich
durch Vergleich mit unseren auf Beobachtungen beruhenden Karten als richtig.
Die obige Tabelle erklärt nun auch, weshalb in mäßigen Wintern eine Ver-
eisung auch nur gewisser Gebiete des offenen Seeraumes nicht eintreten kann.
Obwohl die Temperatur der Oberflächenschicht weit unterhalb der in milden
Wintern liegt — wir haben für unsere Tabelle, um deutlich zu sein, sogar die
Temperaturen der härteren mäßigen Winter, also die untere mögliche Grenze,
gewählt —, so befindet sie sich dennoch derart weit oberhalb der Gefriergrenze,
daß eine Eisbildung nicht möglich ist, im Gegenteil, daß in das Seegebiet hinaus-
treibende Eisschollen noch abschmelzen müssen. Darin liegt der physikalische
Unterschied zwischen den mäßigen und milden Wintern einerseits und den
strengen andererseits.
Anders liegen die Verhältnisse in der Nordsee. Hier befinden wir uns schon
mehr an der Grenze des nach Westen vorgeschobenen Kontinentalklimas. Das
bedeutet, daß die vom Atlantik heranziehenden Witterungsstörungen mitunter
die Möglichkeit haben, mit ihren Warmluftmassen in das Randgebiet einzu-
brechen. Bedeutungsvoller ist jedoch, wie schon erwähnt, der ständige Wasser-
austausch zwischen der Nordsee und dem Atlantik, so daß der Fall, daß die
Oberflächentemperatur der Nordsee den durch den Salzgehalt auch in bezug auf
die Ostsee tiefer liegenden Gefrierpunkt erreicht, unmöglich ist. Wie schon
G. Böhnecke mitteilt), und wie dies Jacobsen bestätigt!®), reichen zudem die
Zungen des atlantischen Wassers in den Monaten Februar-März am weitesten
ın die Nordsee hinein. So dringt die 35°09-Isohaline in diesen Monaten etwa
bis zu einer Breite von 55'/,° N vor, während die das Nordseewasser gegen das
Küstenwasser abgrenzende 34°/.,-Isohaline im Februar ihre am weitesten gegen die
Küsten vorgeschobene Lage besitzt (von 56° bis 54° N etwa längs des Meridians
von 7° O, von 54° N nach WSW umschwenkend). In diesem Raum liegen die
V).G. Böhnecke, Salzgehalt und Strömungen der Nordsee, Veröff. d Inst. f. Meeresk.,
N. Folge, Reihe A, H. 10, Berlin 1922. — 1) J P. Jacobsen, Temperature and Salinity at the surface
of the North Sea and the Eng, Channel, Kopenhagen 1934, nebst Atlas de Temperature ct Salinite
de l’eau de surface de la Mer du Nord et de Ia Manche, Cons, perm. intern, pour l’explor. d. la mer,
Kopenhagen 1933.