Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, Februar 1942.
etwa, nicht existiert. Den Grund werden wir in folgendem erörtern. Hierbei
werden wir gleichzeitig zwei weitere bei der Betrachtung der Karten auffallende
Ergebnisse behandeln: die bereits oben erwähnte überraschend große Ausdehnung
der Vereisung über den offenen Seeraum in strengen und sehr strengen Wintern
und den zeitlichen Unterschied im Höhepunkt der Vereisung zwischen den west-
lichen und östlichen Gebieten.
Den großen Unterschied in der Vereisung der strengen und milden Winter-
klassen hatten wir zunächst auf eine Verlagerung der Klimascheide zurück-
geführt. Zwar bildet diese die Ursache für die gewaltigen Eisbildungen in der
offenen Ostsee, aber sie reicht zu einer Erklärung dieser Erscheinung noch nicht
hin. Denn es müßte sonst in mäßigen Wintern im Ostseeraum mindestens so
viel Eis entstehen, daß eine Mittellage zwischen strengen und milden Wintern,
wie es auch dem Eiswert an den Küsten entspricht, erreicht wird. Die tiefere
Ursache liegt im Wärmevorrat der Wassermassen der Ost- und Nordsee, Indem
beide Meere betrachtet werden, soll auch zugleich der Grund zu der unter-
schiedlichen Vereisung beider Seegebiete behandelt werden.
Die Ostsee ist — bis auf den Wasseraustausch in den Zugängen, der sich,
von Westen gesehen, im allgemeinen nicht bis über die Darsser Schwelle bzw. in
der Tiefe nicht über die Bornholmer Mulde erstreckt — eine abgeschlossene
Wassermasse. Die in ihr aufgespeicherte Wärmemenge erfährt mit dem Eintritt
des Winters keine Zufuhr mehr von außen. Die Nordsee ist mit dem Atlantik
durch zwei Öffnungen verbunden, davon die eine im Norden zwischen Schott-
land und Norwegen liegt, die andere der Kanal ist. Durch beide dringt eine
warme und salzreiche Zunge atlantischen Wassers hinein, die den Wärme- und
Salzreichtum der Nordsee ständig erneuert. Dagegen ist die Ostsee zudem salz-
arm. Während die Wasserbewegungen der Ostsee im wesentlichen nur vom
Winde abhängen, und sonst nur gelegentliche Eigenschwingungen einige Wasser-
versetzungen ergeben!*), werden die Wassermassen der Nordsee zudem noch von
einer kräftigen Gezeit hin- und hergeschoben. Die Gezeitenbewegungen in der
Ostsee sind dagegen nur sehr klein. |
In der Ostsee ist daher — wir betrachten jetzt nur den eigentlichen See-
raum — die Vereisung gewissermaßen nur. eine Frage der Zeit. Wir stellen
daher die Frage: Gelingt es dem Frost, die Oberschicht der Wassermassen so
weit abzukühlen, daß, mit Einrechnung des Salzgehaltes, der Gefrierpunkt er-
reicht wird? (Wir wollen hierbei von den Schwankungen des Wärmevorrats
infolge der Schwankungen der vorangehenden sommerlichen Wärme absehen.)
Wir wissen, daß der Widerstand des Wassers gegenüber einer Anderung seiner
Temperatur sehr groß ist. Zu seiner großen spezifischen Wärme kommt die
Konvektion hinzu, so lange das Oberflächenwasser schwerer ist bzw, wird, als
die darunterliegenden Wasserteilchen, so daß die Oberfläche bis zum Eintritt
eines Gleichgewichts dauernd erneuert wird. Es. bedarf daher bei einer be-
stimmten Frostlage einer gewissen Zeit, bis der Gefrierpunkt erreicht wird, und
wir fragen daher weiter: Reicht die Zeit des Winters bis zum Eintritt einer
solchen Abkühlung aus, oder liegt bei den überhaupt möglichen Frostwetterlagen
bzw. Kältegraden ein solcher Zeitpunkt so spät, daß er bereits in die Erwärmungs-
periode des neuen Sommers fällt? Zur Beantwortung dieser Frage haben wir
die Temperaturen der Oberfläche in einem Areal von 58°—59° N, 20°—21° O
für die Monate Januar bis Mai und getrennt nach Wintertypen zusammengestellt
und das in folgender Tabelle wiedergegebene Ergebnis erhalten‘®):
Temperaturgang in drei Wintertypen im Areal 58°—59° N, 20°—21° 0.
Cal RI BAT
- v0
Milde Winter ......
Mäßige Winter .....
Strenge Winter....-
1
200
— AA
BT
0.6:
— 07
)
2%) Vgl, G. Neumann, Eigenschwingungen der Ostsee. Arch. d. Deutschen Seewarte u. d, Mar.
Obs., Bd. 61, Nr. 4, Hamburg 1941. -— 71%) Das Beobachtungsmaterial hierzu hat dem Verfasser dankens-
werterweise die Gruppe Ozeanographie der Deutschen Seewarte zur Verfügung gestellt.