Markgraf, H.: Kinematisch bedingte Druckänderüngen in der Atmosphäre, 215
die Erhaltung einer kinetischen Energie vorausgesetzt wird [siehe (s) S. 87, Ab-
schnitte 6 und 7], die sich der Beobachtbarkeit entzieht.
Eine Vereinigung der beiden Ursachenarten ist in dem thermodynamischen
Erklärungsversuch von Refsdal (s) — Raethjen (s) erfolgt, der jedoch wesent-
liche Beobachtungstatsachen, wie die Entstehung der stärksten Zyklonen auf
dem Meere und im Winter, nicht zu erklären vermag.
Alle diese Erklärungsversuche, der thermische, der dynamische und der
thermodynamische, beruhen auf statischer Betrachtungsweise. Ausgangspunkt
der angestellten Überlegungen ist immer letzten Endes die Gültigkeit der sta-
tischen Grundgleichung. Auch wenn Zustandsänderungen und Bewegungen in
die Betrachtungen mit einbezogen werden, so doch nur, um das Ergebnis im
neuen Ruhezustand zu prüfen. Und es wird wohl als erwiesen angenommen, daß
kinematische Vorgänge keinen irgendwie ins Gewicht fallenden unmittelbaren
Einfluß auf die großräumigen atmosphärischen Druckänderungen haben können,
vielleicht mit Ausnahme der tropischen Wirbelstürme,
2. Kinematische Betrachtungen.
a) Ortsfestes Höhentief,
Um vom Einfluß der Bodenreibung frei zu kommen, gehen die folgenden
Betrachtungen von der freien Atmosphäre aus, Um ein ortsfestes Höhentief
erfolgt die Strömung im stationären Zustand isobarenparallel: Gradientkraft,
Ablenkungskraft, Fliehkraft sind im Gleichgewicht. Nehmen wir an, daß der
Druck über dem Tief in einer gewissen Zeit überall um den gleichen Betrag
fällt oder steigt, so kann sich an der Strömung nichts ändern (eine die Druck-
änderung u. U. begleitende Dichteinderung kann in diesem Zusammenhang ver-
nachlässigt werden); das Gleichgewicht der Kräfte bleibt ungestört. Also können
auch keine weiteren Wirkungen auftreten. Ändert sich dagegen der Druck-
gradient seinem Betrage nach, z. B. durch Temperaturänderung in der Luft-
säule unter dem Kern des Höhentiefs, so muß sich auch die Strömungsgeschwindig-
keit ändern. Infolge der Trägheit (der kinetischen Energie) wird einen Augen-
blick lang die ursprüngliche Geschwindigkeit noch andauern, das Gleichgewicht
gestört und demzufolge die Strömungsrichtung etwas von den Isobaren abweichen,
wodurch der Druckänderung z. T. entgegengewirkt wird. Offenbar wird sich
aber das Gleichgewicht in kürzester Zeit wieder herstellen, die Strömung wieder
stationär werden. Eine irgendwie beachtliche Druckänderung kann infolge der
kurzen Bewegungsänderung offenbar nicht erfolgen, geschweige denn eine an-
haltende großräumige Druckänderung.
b) Vertikale atmosphärische Wirbel,
Der Fall, daß nicht die Druckänderung die Bewegung, sondern umgekehrt
die Bewegung den Druckgradienten verursacht, also der Fall kinematisch be-
dingter Druckänderungen, tritt in der Atmosphäre offensichtlich dort auf,
wo die Ablenkungskraft zu vernachlässigen ist: Dei minimaler Horizontal-
erstreckung des Gradienten (Tromben) und in Äquatornähe (Wirbelstürme). In
beiden Fällen kann nicht der beobachtete Druckgradient Ursache der isobaren-
parallelen, kreisförmigen Bewegung sein, da die durch ihn in Bewegung gesetzte
Luft seiner Richtung unabgelenkt folgen und ihn dabei gleich wieder beseitigen
müßte, Es muß also umgekehrt der Druckgradient durch die Wirbelbewegung
erzeugt worden sein. V. Bjerknes hat den Zusammenhang zwischen Druck
und Bewegung in derartigen Wirbeln eingehend mathematisch behandelt (-).
Die mathematischen Beziehungen sagen natürlich nichts über die Ursächlich-
keit aus. Sie besagen aber, daß bei vorgegebener Wirbelbewegung sowohl bei
zyklonaler wie bei antizyklonaler Bewegung ein Druckgefälle zum Wirbelkern
hin auftreten muß, Somit ist der Schluß bindend, daß das bei Tromben und
Wirbelstürmen beobachtete Druckgefälle, da es nicht Ursache der Bewegung
sein kann, deren Folgeerscheinung ist. Die Druckerniedrigung in einer ent-
stehenden Trombe und einem sich entwickelnden tropischen Wirbelsturm ist
also kinematisch bedingt.