Wundt, W.: Die Wasserdampfrerfrachtung über Mitteleuropa im jährlichen Gang. 349
Vergleichsgebiete sind hier noch Theiß und Don, aus Nordamerika der oberste
Mississippi und der obere Ohio beigefügt. Naturgemäß wird die Verteilung der
Jahresverdunstung auf die Monate und der Wasserdampfgehalt der Lufthülle
unsicher, wenn wir uns in ein verändertes Klima begeben. Die letzten Gebiete
sollen daher nur ein Urteil darüber ermöglichen, wie weit unsere Betrachtungen
über Mitteleuropa hinaus ausgedehnt. werden können. Die Zufuhrüberschüsse
beim Ohio im Sommer dürften eine Folge des nordamerikanischen Monsuns sein,
Wir haben den Zufuhrüberschuß bisher in der Hauptsache nur in seinem
Ausmaß betrachtet, ohne die Herkunft der Einfuhr und die Richtung der Ausfuhr
genauer zu untersuchen. Leider ist das aerologische Material für Mitteleuropa
noch nicht vollständig genug, um hierüber ein eindeutiges Urteil zu gewinnen; auch
bringt es hier die mannigfache Gestaltung der Oberfläche mit sich, daß die Luft-
strömungen recht kompliziert verlaufen müssen. Doch lassen sich aus einer Zu-
sammenstellung, die A. Wagner für die Windverhältnisse in Lindenberg gegeben
hat (6), wenigstens einige Schlüsse über Stärke und Richtung der Luftbewegung im
Luftraum über Ostdeutschland ziehen. Für Lindenberg (= 52° 18'; 1=: 138° 48’)
werden im Durchschnitt des Zeitraums 1913/17 folgende Werte angegeben:
Tabelle 4. Windverhältnisse über Lindenberg (Resultierende Luftversetzung).
Höhe | Richtung (90° = E, 180° = 8, 270° = Wusw.) Stärke (m/sec}
(km) April | Mai | Juni | Jeli FApril! Mai | Jani | Juli
0.128
5 |
A
15
>
275 345 | 299 |
282 293 !* 295 |
285 271 0° 295 |
284 271 288
283 | 20 | 28
275 13 : 04 13 ı 22
285 3.1 VS!
285 3.6 1.1 3.1 43
283 3.9 17 | 32 | 44
281 4.2 | 22 35 45
Die Herkunft und Fortführung des Wasserdampfes muß sich nach der
Richtung und Stärke des resultierenden Windvektors richten, Da die Wind-
geschwindigkeit mit der Höhe steigt, ist auch für den Monat mit der schwächsten
Bewegung (Mai) eine durchschnittliche Bewegung von etwa 2 m/sec gegen Osten
anzunehmen. Mit dieser Geschwindigkeit werden im Monat über 5000 km zurück-
gelegt, d. h. ein Mehrfaches der westöstlichen Erstreckung von Mitteleuropa, die
mit rund 1000 km veranschlagt werden kann. Eine Verzögerung in dem Sinn,
daß die im Westen stattfindende Entführung im Osten erst in späteren Monaten
bemerklich sein würde, ist also nicht zu erwarten. Eine Verspätung tritt zwar
ein, aber sie beträgt für Mitteleuropa im Mai nur etwa eine Woche, im April,
Juni und Juli noch viel weniger; sie kann also in den Monatsmitteln der Ver-
dunstung und des Niederschlags kaum zum Ausdruck kommen, — Es mag sein,
daß bei sog. Wärmegewittern vorübergehend auch Dampfzufuhr von Osten, all-
yemeiner aus der näheren Umgebung ohne bestimmte Richtung stattfindet. Aber
für das Monatsmittel sind diese Fälle, wie der resultierende Windvektor zeigt,
ohne Bedeutung. Jedes Gebiet gibt, für den Durchschnitt betrachtet, seinen Ver-
dunstungsbetrag nach Osten weiter, erhält aber gleichzeitig Ersatz aus der Ver-
dunstung der weiter westlich liegenden Gebiete, Man kann unsere Luftströmungen
mit einem Flusse vergleichen, der am Ufer und am Grunde rückläufige Strömungen,
sog. Walzen (nach Rehbock) bildet, Das Wasser wird in diesen Walzen wohl
aufgehalten, geht aber doch im allgemeinen Strome weiter, Die Walzen entsprechen
der Luftzirkulation des sog. inneren Wasserkreislaufs und sind im Winter als
klein, im Sommer als groß zu denken. Selbstverständlich kann dieser Vergleich
die sehr wesentlichen thermodynamischen Prozesse nicht mit in Betracht ziehen,
Daß der Mai die Zeit des größten Entführungsüberschusses ist, kommt
auch in den Zahlen der Tab. 4 zum Ausdruck, Die beiden Einnahmeposten bei
der Wärmebilanz eines Luftraumgebiets sind die Wärmezufuhr von außen
(durch Advektion) und die Örtliche Einstrahlung. Im Mai wird das Land rasch
erhitzt, während das Meer noch verhältnismäßig kühl ist; ein Monsun — dieser
im weitesten Sinne nach Roediger u, a, verstanden — hat sich aber noch
nicht entwickelt, Unter diesen Umständen kann die durch Erhitzung des Bodens
Ann. d. Hydr. usw. 19410, Heft X.