Roßmann, F.: Über die Bildung und. Auflösung des Hagels, 93
Gewitter bis 10000 m. Der Wolkenturm mit unterkühlten Wolkentröpfchen hat
demnach im höchsten Fallen eine senkrechte Ausdehnung von 6000 m, oft
beträchtlich weniger. Der Wassergehalt des Wolkennebels ist bei den größtenteils
dort herrschenden, recht tiefen Temperaturen von im Mittel über die ganze
Schicht — 25° (=) mit höchstens 4 g/cebm zu veranschlagen, wahrschein-
lich im Mittel mit sehr viel weniger, Das ergibt, wenn ein Eisgefüge vom spezl-
fischen Gewicht e=0,8 als entstehend angenommen wird, nach der Trabert-
Wegenerschen Formel ein ör = 0.75 em. Bei einem anfänglichen Graupelkorn
von 0.25 em Halbmesser entsteht so ein Hagelkorn von nur 2 cm Durchmesser,
Dies zeigt sofort, daß ohne sehr wesentliche Verlängerung des Weges in der unter-
kühlten Wolke infolge der notwendig vorhandenen kräftigen Vertikalbewegung
die größten Hagelsteine auch nicht annähernd erklärt werden können.
Daß diese Wegverlängerung im allgemeinen in der oben geschilderten Form
abwechselnder Auf- und Abwegung des Hagels unter dem Einfluß von Schwere
and Aufwindströmung vor sich geht, dafür spricht erstens der schalenförmige
Aufbau vieler Hagelkörner. In der Aufwärtsbewegung im Raume unterkühlter
Wolkenteile setzt das Korn außen eine Graupelschicht an, die es immer größer
und schwerer werden läßt, Der Vertikalstrom nimmt zugleich mit der Luftdichte
nach oben immer mehr ab, so daß schließlich eine Stelle im Strömungsfeld
erreicht wird, wo das Korn umkehren muß, d, h. sich wieder gegen höhere Tem-
peraturen zu bewegen anfängt. Nicht alle, aber manche Körner werden in
äußeren und schwächeren Teilen des Aufwindstroms fallen und so in die Zone
unterhalb der Nullgradfläche gelangen. Dort sintert die Graupelschicht zu einer
klaren Schicht aus Wasser und Eis zusammen, wodurch das Korn kleiner und
dichter wird, Ein erneutes Steigen in die unterkühlte Zone tritt trotzdem deshalb
häufig ein, weil nach unten hin Luftdichte und gleichzeitig Vertikalgeschwindigkeit,
mit einem Wort der Staudruck wächst,
Daß bei stärkster Wolken- und damit Hagelbildung die Schicht mit höchster
Aufwindgeschwindigkeit um 4000 m liegt und demnach ungefähr auch die Null-
gradfläche in diese Schicht fällt, läßt sich aus der Wolkenbildung selbst erkennen.
Schon 1911 wies Alfred Wegener in seiner „Thermodynamik der Atmosphäre“
darauf hin, daß ein sehr wesentlicher Vorgang bei der Gewitterbildung die Durech-
brechung der Schichtgrenze in etwa 4000 m Höhe ist. Das geschieht mit großer
Regelmäßigkeit bei allen stärkeren Bildungen durch die thermisch emporquellenden
Wolkenmassen, Vorher breiten sich die oberen Haufenwolkenteile an dieser
Schichtgrenze aus, und durch Hebung bilden sich darüber Eisschleierwolken,
Wenn die vertikale Quellgeschwindigkeit ausreicht, erfolgt dann an einer ver-
hältnismäßig schmalen Stelle ein Durchbruch. Die sich darauf senkrecht weiter
entwickelnde Wolke breitet sich darüber auch wieder seitlich aus, So entsteht
die charakteristische Amboßform, und es leuchtet ein, daß, solange die Aufwärts-
entwicklung andauert, an der Durchbruchsstelle die höchte Aufwärtsgeschwindigkeit
herrschen muß, Das Strombett ist dort ja merklich verengt. Noch etwas anderes
spricht dafür, daß um 4000 m herum während der stärksten Hagelbildung die
Luft am raschesten (mit Geschwindigkeiten bis 20 m/s) aufwärts strömt. Es ist
annähernd die Mitte des gesamten Thermikstromes in dem voll entwickelten
Gewitterkumulus, der am Boden als Konvergenz mit geringer Aufwärtsgeschwindig-
keit beginnt und in etwa 8000 m als Divergenz ebenso endet.
Schon der großzügige Überblick über das Geschwindigkeitsfeld der Auf-
wärtsbewegung einer Gewitterwolke in Entwicklung zusammen mit der Abnahme
der Luftdichte nach oben läßt die angenommene Hagelbildung völlig verständlich
werden, Ob das merkwürdige Zusammenfalien der Schichtgrenze mit der Null-
gradfläche und der Schnelle des Aufwärtsstroms physikalisch bedingt ist und wie
etwa, läßt sich hier noch nicht entscheiden.
Göttingen, den 1. Oktober 1939, Aerodynamische Versuchsanstalt,