Roßmann, F.: Über die Bildung und Auflösung des Hagels.
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Über die Bildung und Auflösung des Hagels.
Von F. Roßmann, Aerodynamische Versuchsanstalt Göttingen,
In einer vor kurzem erschienenen Arbeit „Bemerkungen zu einigen Gewitter-
erscheinungen“?) habe ich beiläufig folgende Ansicht über das Entstehen des
Hagels ausgesprochen: „Während der stärksten Hagelbildung liegt die Zone
größter Niederschlagsdichte in der Nähe der Nullgradfläche, wahrscheinlich sogar
etwas darüber. Denn der Hagel entsteht durch mehrfache Auf- und Abbewegung
der Graupelkörner um die Nullgradgrenze herum, wie sein Aufbau zeigt, der
aus einer Reihe von zwiebelblätterförmig übereinanderliegenden Eisschichten von
verschiedener Durchsichtigkeit besteht, Diese sind offenbar durch abwechselndes
Ansetzen von Graupelschichten im unterkühlten Wolkenteil unter 0° und Zusammen-
sintern zu mehr oder weniger durchsichtigen Eislagen oberhalb 0° entstanden.
Im ganzen muß das wachsende Hagelkorn vom veränderlichen Aufwindstrom und
der Schwere jedoch so bewegt werden, daß es sich längere Zeit oberhalb als
unterhalb der Nullgradfläche befindet, Diese Zone größter Hageldichte verlagert
sich also allmählich abwärts, und der dabei schmelzende Hagel kühlt die durch-
fallenden Luftschichten stark ab, wodurch gleichzeitig die Flächen gleicher Tem-
peratur im Wolkenraum erheblich gegen den Erdboden gesenkt werden“.
Gegen diese hier freilich nur ganz knapp entwickelte Anschauung von der
Hagelbildung, die ich mir, anknüpfend an die Überlegungen von Trabert*) und
A. Wegener®) seit Jahren gebildet hatte, macht Herr Dr, Findeisen in einem
Brief an mich vom 18, September 1939 Bedenken geltend. Er hält „die Annahme
für schwierig. Man hat dafür bisher keinerlei Beweise, die Erfahrungen, die man
bisher aus Beobachtungen über den dynamischen Aufbau der Gewitter gewonnen
hat, sprechen. sogar dagegen. Auch stehen sie im Widerspruck mit den gegen-
wärtig vorherrschenden. Änschawungen“,
Das letzte trifft nach einem Gespräch mit Herrn Professor Kleinschmidt
über diese Frage nicht ganz zu. Ich erfuhr dabei, daß jene Ausicht auch von
anderer Seite geäußert worden sei, — von wem, war im Augenblick nicht nach-
weisbar, — und daß sie Herrn Prof. Kleinschmidt stichhaltiger erscheint, als
die von Herrn Findeisen vertretene Hagelerklärung: „Der schalenförmige Auf-
bau der Hagelkörner läßt sich viel einfacher und einleuchtender mit der Tatsache
erklären, daß die Haygetkörner auf ihrem Falbwege Wolkenschwaden verschiedenster
Mikrostruktur passieren, in denen die Wachstumsbedingungen natürlich auch ver-
schieden sind, Ich weiß von meinen Gewitterflügen. her, daß der Wasser- und Eis-
gehalt in den Gewilterwolken. schwadenweise stark wechselt und habe das auch nie
anders angenommen“,
Da die Art und Weise der Hagelbildung im Zuge der ganzen Gewitter-
entwicklung und im Hinblick auf die praktische Frage der Hagelbekämpfung
eine wesentliche Stellung einnimmt, erscheint es notwendig, diese Frage einer
genaueren Prüfung zu unterziehen und hier erst einmal das Für meiner oben
gegebenen Ansicht auseinander zu setzen, um dann von anderer Seite, vielleicht
von Herrn Findejsen selbst, das Wider zu hören. Nur auf diese Weise dürfte
eine Frage rasch der Lösung näher zu bringen sein, die sich besonders hin-
sichtlich der unmittelbaren Beobachtung als recht spröde erweist.
Sicherlich vollzieht sich der Vorgang der Hagelbildung auf kleinem Raum
im wesentlichen nach den Überlegungen von Trabert und Wegener. In jedem
Augenblick lagert das Graupel- oder Hagelkorn alle Tröpfchen an, denen es auf
seinem Wege begegnet. Es kann in erster Annäherung angenommen werden,
daß dieser Weg mit dem Raum eines Kegelstumpfes gleichzusetzen ist, der den
Querschnitt r}x des Hagelkorns bei Beginn und ri»% bei Ende des Hagelwachs-
tums als Endflächen und den Fallweg h als Höhe hat, Dabei ist r,, r, und h
in cm zu messen, Ist w der Wassergehalt in flüssiger Form der durchmessenen
., ') Zischr, £. angew. Meteor, Das Wetter.. 56, Heft 9. Sept. 1939. — 2) W, Trabert, Die
Bildung des Hagels. Meteor. Ztschr. 16, 433, 1899. — % A. Wegener, Thermodynamik der Atmo-
aphäre, Leipzig 1911, S. 300£ Die gleichen Überlegungen in verfeinerter Form auch in „Vor-
lesungen über Physik der Atmosphäre“, Leipzig 1935, S, 169 ff,