Sellenschlo, H.: Der Nordseeorkan vom 27. Oktober 1936.
449
Höhenisobaren gegenüber den erstgenannten Gebieten einen nur geringen Luft.
druckfall zeitigen. Ein ähnliches Bild ergibt die 24stündige Luftdruckänderung
der 08M.Termine vom 27, zum 28, Okt. (Abb, 22).
Die Drucksteiggebiete werden in diesem Zusammenhang wegen der Ungenauig-
keit der Höhenwetterkarte über dem Atlantik nicht behandelt. Aus demselben
Grunde können auch die mit der Orkanentwicklung verknüpften Druckänderungen
vom 26. zum 27, Okt. nicht divergenz-theoretisch betrachtet werden.
An dieser Stelle sei auf die Arbeit von R. Scherhag {2) hingewiesen, wo
die Druckfallgebiete in Verbindung gebracht werden mit dem Divergieren der
relativen Isopotentialen (s. Fig. 11 der Scherhagschen Arbeit), Für die Höhen-
strömung ist aber die absolute und nicht die relative Topographie maßgebend,
R. Scherhag äußert sich allerdings folgendermaßen: „In der gleichzeitigen
Karte der absoluten Topographie der 500 mb-Fläche ist der Druckgegensatz
derart groß, daß Divergenz und Konvergenz %ar nicht sofort in die Augen
fallen; durch Betrachtung einiger weiter entfernter Isopotentialen kann man
aber leicht feststellen, daß die Lage der Vergenzgebiete hier die gleiche ist wie
in Fig. 11.“ Betrachtet man aber die von R. Scherhag in seiner Fig, 12 dar-
gestellte absolute Topographie der 500 mb-Fläche, so kann man die besonders
starke Richtungsdivergenz der absoluten Isopotentialen über Südosteuropa und
Polen nicht übersehen.
Auch die Wanderungsrichtung der Zyklone entspricht ganz den Erforder-
nissen der Theorie von J. Bjerknes. Wir haben das Tiefdruckzentrum am
28, Okt. 08% in der Richtung, wo während des Vortages das Gebiet horizontaler
Strömungsdivergenz lag.
in diesem Einzelfall leistete also die Theorie von J. Bjerknes mehr als
die Scherhagsche. Welcher Theorie allgemein der Vorrang gehört, das wird
die Erfahrung zeigen, wenn das Höhenwetterkartenmaterial genügend umfang-
reich und zuverlässig sein wird, um eine systematische Untersuchung in dieser
Hinsicht zu erlauben.
E. Das Vorhersageproblem.
Eine wesentliche Frage wird es nur sein, ob man überhaupt aus dem zur
Verfügung stehenden Material nach eingehender Diagnose der Wetterlage zu
giner Vorhersage der großen Windstärken hätte kommen können. Der Verfasser
möchte diese Frage grundsätzlich bejahen. Bei hinreichender Kenntnis und Ver-
wendung des aerologischen Materials (Wind-, Temperatur-, Feuchte-Feld) konnte
man den Labilisierungsvorgang voraussehen, denn eine Betrachtung der Ge-
schwindigkeiten und Windrichtungen in ihrer räumlichen Verteilung mit den
zugehörigen Temperaturfeldern (relative Topographien) sprach für eine Labili-
sierung im späteren Örkangebiet. Die Karten des „Tägl. Wetterbericht“ der
Deutschen Seewarte vom 25. bis 28. Okt. 1936 geben darüber Auskunft, wie an-
schließend gezeigt wird, Am 25, Okt. 1936 08b konnte eine bevorstehende Labili-
sierung noch nicht prognostiziert werden, Im gesamten Nordseeraum findet
man in den unteren wie in den höheren Schichten eine mit Warmluftadvektion
verbundene SW- bis W-Strömung., Hingegen zeigen die Karten vom 26. Okt. 1936
08% deutlich die bevorstehende Labilisierung: In Bodennähe herrscht eine süd-
westliche Strömung (Warmluftadvektion), aber in den höheren Schichten der
unteren Troposphäre (s. absol, Topographie der 500 mb-Fläche) finden wir eine
relativ kalte Strömung aus Nordwest, Der Vorgang der Labilisierung (mit
geringerer Intensität) ist noch am 27. Okt, 1936 08h im Gange, denn bei den
bodennahen Westwinden (z. T. mit geringer Nordkomponente) und den in höheren
Schichten gegebenen WNW- bis NW-Winden größerer Geschwindigkeit ergibt
sich auch hier in der Höhe ein Voraneilen der Luftmassen aus dem Kaltluft-
raum (in der Westkomponente)., Am 28, Okt, 1936 08h finden wir durchgehend
in der unteren Troposphäre eine NW-Strömung. Die relative Topographie zeigt
aber, daß die NW-Strömung keine advektive Abkühlung mit sich bringt. Hieran
ist zu erkennen, daß der Labilisierungsvorgang zwischen dem 27. Okt. 08h und
28, Okt. 08h sein Ende gefunden hat. Diese Gesamtentwicklung zeigt deutlich,
daß man am 26. Okt. 08% die bevorstehenden stark feuchtlabilen Umlagerungen