Sellenschlo, H.: Der Nordseeorkan vom 27. Oktober 1936,
FA
2. Die Windverhältnisse im zugehörigen Raume,
Um die zeitliche Veränderung der Windstärken im mitteleuropäischen Raume
zu verfolgen, wurden die Windstärken 0—3, 4—6, 7—9, 10—12 Bft. zusammen-
gefaßt und die Gebiete mit den genannten Schwellenwerten gegeneinander ab-
gegrenzt (Abb. 11 bis 18). Es zeigt sich eine besonders hervortretende Wind-
stärkenzunahme im Nordseeraum, speziell in der Deutschen Bucht, Am 27. Okt.
)8M (Abb. 14) haben wir bereits ein ausgedehntes Gebiet mit 10 bis 12 Bit, das-
selbe wird umrandet von einem breiten Gürtel mit 7 bis 9 Bft. Einige deutsche
Küstenorte melden zwischen 5 bis 6h morgens das erste Auftreten des Orkans.
Die gleichen Verhältnisse bestehen noch gegen 14h (Abb, 15), gegen 19% (Abb, 16)
nimmt das Örkangebiet an Ausdehnung ab, erst in den Karten vom 28, Okt,
02b bzw. 08° (Abb. 17 und 15) fehlen die großen Windstärken von 10 bis 12 Bft.
3. Die Kopplung von Niederschlags- und Orkangebiet.
Die Frage nach einer etwa vorliegenden Kopplung von Niederschlags- und
Orkangebiet beantwortet die Betrachtung der gegenseitigen Lage beider Felder
zueinander (Abb. 19). Zieht man weiterhin die Lage der Bodenkaltfront und
des Labilisierungsgebietes mit dem zugehörigen Raume von feuchtlabiler Energie
zu Rate, so läßt sich über den Mechanismus des atmosphärischen Vorganges
giniges aussagen.
Die Lageanordnung der Gebiete genannter Erscheinungen drängt die Schluß-
lolgerung auf, daß es sich um eine geordnete Auslösung feuchtlabiler Energie
handelt. Auf das Wesen geordneter sowie ungeordneter Auslösung von feucht-
iabiler Energie sei hier nicht besonders eingegangen, denn den Gedankengängen
der umfangreichen Arbeiten von A. Refsdal (13,2), P. Raethjen (51) und
G, Seifert (2, ®) kann hier nichts angefügt werden, Für die ungeordneten Aus-
lösungen von feuchtlabiler Energie legen die zahlreichen Böigkeitsmeldungen im
von unzähligen Schauern (Abb. 1) durchsetztem, feuchtlabilem Kaltluftraum
Zeugnis ab. So wie die geordnete Umlagerung zur Vermehrung der Gesamtzyklonal-
strömung in der unteren Troposphäre beiträgt, so trägt auch die ungeordnete
Umlagerung dazu bei, die Horizontalströmung in Bodennähe zu vergrößern, indem
nämlich wegen des mit der Höhe zunehmenden Windes bei der Umlagerung die
Luftmassen mit großer kinetischer Energie in geringere Höhen verlagert werden.
Der Böigkeitscharakter ist diesen letzten Vorgängen besonders eigen.
D. Betrachtungen zu den Drucksteig- und Druckfallgebieten
und zur Zyklonenzugrichtung,
i. Nach der Scherhagschen Divergenztheorie (Richtungsdivergenz der Höhenisobaren).
In den beiden vorhergehenden Abschnitten ist der Versuch gemacht worden,
die kinetischen Energien im Orkangebiet als Folge eines Umlagerungsvorganges
feuchtlabil geschichteter Luftmassen zu erklären, Die Überlegungen infolge der
gingeschlagenen Untersuchungsweise waren nur möglich, da für die Zeit und
das Gebiet genügend Höhenaufstiege in der unteren Troposphäre vorlagen, die
einen Einblick in die räumlichen Verhältnisse möglich machten, Wegen der
Lage der Zyklone vom 27. Okt. 1936 in dem von Höhenaufstiegen durchsetzten
mitteleuropäischen Raume soll noch eine Betrachtung über die Druckfall- und
Drucksteiggebiete und über die Zyklonenzugrichtung angeschlossen werden.
Bekannt ist die Divergenztheorie von Scherhag (18—1), die besagt, daß dort
der Druck fällt, wo die Höhenwetterkarte eine Richtungsdivergenz im Isobaren-
bild aufweist. Es ist dies eine Erkenntnis, die aus der Erfahrung geboren ist.
Diese Richtungsdivergenz der Höhenisobaren soll verbunden sein mit einer
Strömungsdivergenz im hydrodynamischen Sinne, Umgekehrt liegt der Fall bei
den Drucksteiggebieten, die durch eine Richtungskonvergenz der Höhenisobaren
and somit als Folge einer Strömungskonvergenz gedeutet werden. Die Erfahrung
hat gelehrt, daB die von Scherhag ‚aufgestellte Divergenztheorie häufig den
Tatsachen entspricht, hingegen hat sie aber auch gezeigt, daß es Fälle genug
gibt, in denen dieselbe versagt. Daß die Richtungsdivergenz der Höhenisobaren
nicht gleichbedeutend ist mit einer hydrodynamischen Strömungsdivergenz, das