Ann. d. Hydr. usw., LXVIL Jahrg. (1939), Heft VII.
GER
Das erdmagnetische Observatorium Wingst der Deutschen Seewarte.
Von F,. Errulat, Hamburg, Deutsche Seewarte, .
{Hierzu Tafel 36 mit Abb, 4 bis 6.)
Es ist das Schicksal der erdmagnetischen Observatorien, die für ihre Arbeit
notwendige Bodenständigkeit zuweilen aufgeben zu müssen, weil die fortschreitende
Zivilisation und die durch sie bedingten Störungen erfolgreiche Arbeit unmög-
lich machen. Aus diesem Grunde erfolgte die Verlegung der Potsdamer Beob-
achtungen nach Seddin und weiterhin nach Niemegk, als die Elektrisierung der
Berliner Vorortbahnen die Seddiner Beobachtungen zu stören begann. Ebenso
mußte das 1882 gegründete Observatorium in Parc St. Maur bei Paris der sich
ausdehnenden Weltstadt um 1900 nach Val Joyeux ausweichen und neuerdings
nach Chambon la Forö6t, 87 km südlich von Paris, verlegt werden.
Das gleiche Schicksal hat nun auch die erdmagnetische Station des Marine-
observatoriums Wilhelmshaven betroffen. Begründet auf Veranlassung von Carl
Börgen, hat dieses Observatorium seit Oktober 1878 zuerst zweistündliche
visuelle Beobachtungen, seit 1882 Registrierungen der Variationen, seit 1879
absolute Beobachtungen der erdmagnetischen Elemente durchgeführt, die mit
dem unglücklichen Ausgange des Weltkrieges wegen wirtschaftlicher Not ihr
Ende fanden. Schon 1912 traten durch die Eröffnung der elektrischen Straßen-
bahn in Wilhelmshaven Störungen auf, welche Bidlingmaier veranlaßten, auf
die Veröffentlichung der laufenden Registrierungen zu verzichten. Wenngleich
es sich später herausstellte, daß diese Störungen nicht das gefürchtete Ausmaß
annahmen, rückte doch der Zeitpunkt einer unabwendbar notwendigen Verlegung
immer näher, je mehr die Stadt sich ausdehnte, Verkehr und industrielle Anlagen
und letzten Endes die Erweiterungsbauten des Observatoriums selbst eine für
fernere Zeit ımgestörte Beobachtungstätigkeit ausgeschlossen erscheinen ließen.
Da nur durch eine völlige Verlegung der Station Abhilfe geschaffen werden
konnte, die nähere Umgebung von Wilhelmshaven für einen Neubau aber nicht
in Frage kam, wurde im Herbst 1936 der gesamte Aufgabenkreis der erdmagne-
tischen Abteilung der Deutschen Seewarte in Hamburg zugewiesen und diese mit
der Aufgabe betraut, den Neubau eines erdmagnetischen Observatoriums in die
Wege zu leiten.
Damit wurde für das Observatorium in Wilhelmshaven eine Tradition ab-
gebrochen, deren wissenschaftliche Bedeutung durch Namen wie Carl Börgen,
Max Eschenhagen und Friedrich Bidlingmaier in der Entwicklung der
erdmagnetischen Forschung in Deutschland verankert ist.
Jedoch auch im Aufgabenkreise der Deutschen Seewarte ist die Betreuung
erdmagnetischer Fragen im Interesse der Seefahrt nichts Neues. 62 Jahres-
berichte legen hierfür Zeugnis ab. Die erdmagnetischen Kapitel in den Segel-
und Dampferhandbüchern, die Mißweisungsangaben auf den deutschen Admirali-
jätskarten, die erdmagnetischen Weltkarten, die Lehrbücher über den Gebrauch
des Kompasses an Bord verdanken ihre Entstehung vorbildlich gewissenhafter
Arbeit mehrerer Generationen von Fachleuten, Handelt es sich bei diesen Arbeiten
im wesentlichen um die praktischen Bedürfnisse der Seefahrt, so hat doch auch
die reine Forschung auf erdmagnetischem Gebiet seit Neumayer, der als bereits
anerkannter Forscher die Leitung der Seewarte übernahm, den ihr im Rahmen
der Aufgaben der Seewarte gebührenden Platz eingenommen. Neumayers Welt-
karten, seine Anleitungen zu erdmagnetischen Beobachtungen auf See, seine
eigenen Arbeiten zur Landesaufnahme, seine Bemühungen um die Förderung
instrumenteller Probleme zeigen das zur Genüge. Kine eingehende Darstellung
der an der Deutschen Seewarte seit ihrer Gründung geleisteten erdmagnetischen
Arbeiten wird demnächst von anderer Seite gegeben werden, $
Die Notwendigkeit der Verlegung ergab sich gerade zu einer Zeit, in der
das bevorstehende Maximum der Sonnenaktivität eine starke Zunahme der erd-
magnetischen Störungen erwarten ließ. Um die Zeit bis zum KEinsatz der
Ann. d, Hydr. usw. 19239, Heft YVIL