Scherhag, R.: Die gegenwärtige Milderung der Winter und ihre Ursachen, 301
vorigen Jahrhunderts ausgeprägter war als das sich augenblicklich auswirkende,
und demgemäß erscheint es nicht verständlich, weshalb die Lufttemperatur in
der Gegenwart so viel höher angestiegen ist.
In letzter Zeit ist der mögliche temperaturerhöhende Effekt der durch die
Industrialisierung hervorgerufenen Produktion von Kohlendioxyd in mehreren
eingehenden Arbeiten von Callendar?) *®) wieder aufgegriffen worden, und der
Verfasser gelangt zu dem Ergebnis, daß durch die Produktion von CO, in der
gegenwärtigen Zeit ein Temperaturanstieg von 0.003° pro Jahr erklärt werden
könnte, schätzt aber selbst ab, daß der tatsächliche Temperaturanstieg in den
letzten 50 Jahren beinahe doppelt so groß war. Sieht man sich die von
Callendar?) mitgeteilten Temperaturkurven von New York und Westeuropa
(Edinburgh, Oxford und Kopenhagen) aber an, so zeigen diese in geradezu
jdealer Weise und Übereinstimmung ein Maximum um 1830 und ein Minimum
zwischen 1850 und 1890 und beweisen eindeutig den periodischen Charakter
der gegenwärtigen Erwärmung. Damit soll ein Einfluß des Kohlendioxyds nicht
abgeleugnet werden, er reicht aber zur Erklärung der gegenwärtigen Erwärmung
bei weitem nicht aus, und dann ist zu bedenken, daß diese Temperaturänderung
immer erst auf dem Umweg über eine Zirkulationsänderung zustande kommt.
Überdies ist es sehr wohl möglich, die augenblickliche ganz besondere Temperatur-
erhöhung zu erklären,
Wir verdanken W. J. Humphreys®) den überzeugenden Nachweis, dem sich
auch Köppen?) angeschlossen hat, daß die Ansammlung vulkanischen Staubes
in den höheren Schichten der Atmosphäre eine erhebliche Temperaturerniedri-
gung hervorruft. Humphreys*) hat gezeigt, daß nach allen bedeutenden
Vulkanausbrüchen strenge Winter eintraten, wie es ebenso bekannt ist,
daß nach Vulkanausbrüchen die Sonnenstrahlung teilweise um mehr als 20 %
abgeschwächt wird.
Untersucht man nun aber die bekannten Vulkanausbrüche, z. B. an Hand
des Katalogs von Sapper®), so ergibt sich die bemerkenswerte Tatsache, daß
gerade zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Sonnenflecken ihr letztes
langperiodisches Minimum erreichten, eine Reihe schwerer Vulkanausbrüche
erfolgte, vor allem im Jahre 1815 der Ausbruch des Tambora, der die bisher
gewaltigste Lockermasse der neueren Zeit zutage gefördert hat. Es ist deshalb
leicht verständlich, daß das damalige besonders starke Sonnenfleckenminimum
weitgehend kompensiert wurde und z. B. in New Haven (Tab. 16) das Mini-
mum kalter Winter schon 1800 eintrat. Zugleich war der Zeitraum von 1835
bis 1875 frei von größeren Vulkanausbrüchen, womit auch der Einfluß
des damaligen Fleckenmaximums abgeschwächt wurde und die Winter
nicht so kalt wurden wie zu Anfang des 18, Jahrhunderts.
Die letzte Periode größerer Vulkanausbrüche ereignete sich zu Ende des
vorigen Jahrhunderts, wobei der bekannte Krakatao-Ausbruch die nachhaltigste
Wirkung auf die Sonnenstrahlung ausübte. Sieht man sich die von Kimball*)
veröffentlichte Strahlungskurve an, so erkennt man die ständige Abschwächung
der Sonnenstrahlung, hervorgerufen durch eine ganze Reihe weiterer Vulkan-
ausbrüche in den 80er und 90er Jahren. Es folgten die Ausbrüche von Santa
Colima und Santa Maria 1902 und des Katımai 1912, dessen Strahlungsvermin-
derung bis Ende 1914 anhielt. Seitdem ist keine bedeutungsvollere
Eruption mehr erfolgt, denn bis 1923 ist die Strahlungskurve, abgesehen
von einer ganz kleinen Einsenkung 1920, konstant, und die kürzlich von
2) G. S. Callendar, The Artificial Production of Carbon Dioxide and its Influence on
temperature. Quart. Journ. of the Royal Met. Soc 64, S. 223 (1938). — %) G. S. Callendar, The
Compositiou of the Atmasphere trough the Ages. The Met, Magazine 74, 5. 33 (1939). — ®) a. a. OÖ.
S. 233, Fig. 3. — %) W J. Humphreys, Volceanic Dust and Other Factors in the Production of
Climatie Changes, and their Possivle Kelation to Ice Ages. Bulletin of the Mount Weather Obser-
vatory, Vol, 6, Part 1 (1913). — %) Eine eingehende barstellung findet man auch in dem Lehrbuch von
Humphreys, Physics of the Air. 2. Aufl. ersch. 1929 (MeGraw-Hill Book Company, New York), —
32) K. Sapper, Katalog der geschichtlichen Vulkanausbrüche. Schriften der Wiss. Geselisch. in
Straßburg, 27. Heit (1917). — %) H. H. Kimball, Variation in Solar Radiation Intensities measured
at the Surface of the Earth. Monthiy Weather Rev, 52, S. 527 (1924).