Scherhag, R.: Die gegenwärtige Milderung der Winter und ihre Ursachen. 297
50 Jahre später das nächste Minimum folgt. Seitdem nimmt die Flecken-
tätigkeit wieder zu, gerade das letztjährige Maximum bescherte uns wieder eine
so rege Tätigkeit unseres Zentralgestirns, wie es sich seit 1870 nicht mehr ereignet
hatte und was sich in zahlreichen Nordlichtern und Funkstörungen im Wetter-
dienst nicht gerade angenehm bemerkbar gemacht hat.
Der Zeitraum zwischen den beiden letzten Minima der Sonnenfleckentätigkeit
beträgt 90 Jahre, etwa ebenso lange dauerte die Wiederkehr des Maximums von
1770 bis 1850. Von 1750 bis 1810 war die mittlere Sonnenflecken-Relativzahl
(letzte Spalte der Tab. 15) übernormal, blieb dann 40 Jahre lang unter und von
1840 bis 1870 wieder über dem Mittel, seitdem war es’ bis zur Gegenwart auf
der Sonne verhältnismäßig ruhig.
Ganz ähnlich verhielten sich die Winter auf der ganzen Nordhemisphäre,
was Tab. 16 im einzelnen beweisen soll. Die zweite Spalte enthält wieder die
40jährigen Abweichungen der Sonnenfleckenrelativzahlen gemäß der Tab. 15,
wobei jetzt aber in der ersten Spalte nur das mittlere Jahr der Zeit angegeben
ist, für die diese Werte berechnet wurden. In Spalte 4 sind die Zahlen der Tab. 14
über das Verhalten der europäischen Winter ebenfalls noch einmal wiederholt,
und jetzt zeigt sich, daß jedesmal 10 bis 20 Jahre nach dem langperiodischen
Sonnenfleckenmaximum die europäischen Winter besonders kalt und
ebensoviele Jahre nach dem Minimum der Sonnenflecken sehr warm
waren. Wir befinden uns jetzt also gerade in einer Periode, in der die
Winter nach der Sonnenfleckentätigkeit besonders warm sein müssen,
Aus Nordamerika besitzen wir die lange Reihe von New Haven in der Nähe
von New York. Die sich für diese Station ergebenden Differenzen zwischen den
mehr als 3° zu warmen und zu kalten Wintermonaten sind in der 3. Spalte der
Tab. 16 ebenfalls mit aufgeführt, und das Ergebnis ist ähnlich: Auch in Amerika
waren die Winter um 1860 ebenso wie in Europa sehr kalt, nur trat das
vorhergehende Maximum dort schon etwas früher ein, worauf wir weiter unten
noch zurückkommen werden.
Das hier gefundene Verhalten der Wintertemperatur zu der langperiodischen
Schwankung der Sonnenflecken entspricht völlig der Beziehung, die Köppen?)
und Mielke?) zwischen der elfjährigen Sonnenfleckenperiode und der Temperatur
festgestellt haben: Zur Zeit des Sonnenfleckenminimums ist die Lufttemperatur
der gemäßigten und Tropenzone etwa 0.4° höher als während des Maximums der
Fleckentätigkeit,
Es dürfte wohl klar sein, daß diese Temperaturschwankung außerhalb der
Tropen erst auf dem Wege über eine Änderung der atmosphärischen Zirkulation
zustande kommt und nicht die Folge einer direkten Wirkung der Sonnenstrahlung
ist. So ist auch die augenblickliche Temperaturerhöhung in den gemäßigten und
polaren Gebieten die Folge einer wesentlich verstärkten Zirkulation. Es ist dann
aber zu erwarten, daß sich die Temperaturverhältnisse jenseits der polaren Tief-
äruckrinne und vor allem auf der Rückseite der Island-Zyklone nur mit Verspätung
dem Temperaturverhalten in den gemäßigten Zonen anpassen können. So muß z.B.
eine Vertiefung des Island-Minimums, wie wir sie zur Zeit beobachten, zunächst den
Kaltlufttransport auf seiner Rückseite und also auch die Mächtigkeit des Labrador-
stroms erhöhen, und erst wenn die Zunahme der Zirkulation zu einer allgemeinen
Erwärmung des Polargebiets geführt hat, kann man eine Temperaturerhöhung
auch im Ostgrönland- und Labradorstrom erwarten, wie wir sie jetzt beobachten.
Diese Schlußfolgerung wird durch das Verhalten der Eisbergstärke gestützt,
In der vorletzten Spalte der Tab. 16 sind die von Mecking”) für die Eisbe-
deckung in der Davisstraße angegebenen Stärkegrade und in der letzten Spalte
der von Meinardus?®) geschätzte Charakter der KEisjahre bei Island, dieser zu
je 30jährigen, jene zu je 20jährigen Mitteln zusammengefaßt, und es zeigt sich
5) W, Köppen, Lufttemperaturen, Sonnenflecken und Vulkanausbrüche. Meteorolog, Zeitschr, 31,
S. 305 (1914). — 2) J. Mielke, Die Temperaturschwankungen 1870 bis 1910 in ihrem Verhältnis zur
elfjährigen Sonnenfleckenperiode, Arch. d. D. Seewarte 36 (1913). — 2) L. Mecking, Die Periodizität
der Eisbedeckung in der Davisstraße, Ann, Hydr. 67, S. 23 (1939). — ®) W. Meinardus, Periodische
Schwankungen der Eistrift bei Island. Ann, Hydr. 34, S. 1 (1906).
Ann d. Hydr. usw. 1939, Heft VI