Model, Fr.: Der niedrige Wasserstand am 24. November 1938 an der deutschen Ostseeküste. 92923
das Fünf- bis Zehnfache zu groß ist, da die stärksten im Fehmarnbelt beobachteten
Ströme von der Größenordnung 1 bis 2 m/sec sind. Allerdings besteht zwischen
Vermutung und Beobachtungstatsache kein so großer Widerspruch, wie man
vorerst glauben möchte, da man annehmen muß, daß die Teilchengeschwindigkeit
weit unter der Wandergeschwindigkeit des Wellenberges liegt und der Anstieg
wie eine Welle „vorwärtswächst“. Doch soll die Untersuchung dieser interessanten
quantitativen Verhältnisse für später vorbehalten bleiben; es soll hier nur eine
Beschreibung des Zustandes gegeben werden.
Wenn sich an der deutschen Ostseeküste in der Zeit vom 23. XI. bis zum
25, XI. die Vorgänge so abgespielt haben, wie sie beschrieben worden sind, dann
muß das Wasser von Arkona zunächst nach Westen verfrachtet worden sein.
Wenige Stunden später müssen die Wassermassen längs des betrachteten Küsten-
abschnitts durch irgendeine Ursache gleich-
zeitig zum Fallen veranlaßt worden sein,
wobei das aus der Kieler Bucht nach Osten
zuslaufende Wasser die gleichmäßige Sink-
bewegung an den einzelnen Stationen ent-
sprechend der gegebenen Beschreibung ab-
ändert, Die insgesamt aufgetretenen Wasser-
bewegungen könnten durch die allgemeine
Wetterlage bedingt sein, und in der Tat ist
am 24, XI. 14 Uhr ein gleichmäßig starker
Westwind vorhanden, wie Abb. 1 (Taf. 23) zeigt.
Frühere, die Wechselwirkung zwischen
Wind und Strömung behandelnde Studien
des Verfassers!) lehren, daß beim Durch-
gang einer Front der Wasserstand augen.
blicklich auf den Windsprung reagiert. Man
muß deshalb dem ausgeprägten Steigen und
nachfolgenden plötzlichen Fallen zufolge,
sowie dem oben über die Strömung Gesagten
annehmen, daß am 23. XI. nachmittags ein
Windsprung von Ost auf West und eine deutliche Front vorhanden sind. Aber
nichts dergleichen tritt ein. Die Isobaren drehen nur vom 23. zum 24., und der
Gradient wächst. Der Anstieg des Wassers am 23. XI 14 Uhr ist meteorologisch
überhaupt nicht erklärbar, da dauernd ablandige, westliche Winde wehen. — Da-
gegen versteht man den Anstieg am 22., der von West nach Ost fortschreitet,
sofort als Folge des von der Nordsee in die Ostsee gepumpten Wassers. Auch
die Wirkung des Frontdurchgangs in Heringsdorf kommt zum Ausdruck. — Kein
meteorologischer Befund dagegen rechtfertigt einen so niedrigen Wasserstand,
wie wir ihn während der Dauer von 25 Jahren an der Ostsee nur selten
beobachten. Gewiß, das Fallen als solches können wir verstehen, und der
beobachtete stetige Wassertransport nach dem Osten steht mit den Westwinden
in Übereinstimmung; der vorangegangene Anstieg aber und der sprunghafte
Beginn und die Größe des Falles können mit der Wetterlage allein nicht erklärt
werden, sie müssen vielmehr im Eigenleben der Ostsee begründet sein.
Daß die Ostsee ein Eigenleben haben kann, das sich im Wasserstand äußert,
soll in Kürze an Hand der Wasserstandskurve von Marienleuchte dargelegt
werden. Ich greife einer beabsichtigten Veröffentlichung voraus und bringe in
Abb. 3 den Gang des Wasserstands in Marienleuchte im November im Mittel der
Jahre 1902 bis 1937. Der kalendermäßig am 283. XI. zu erwartende niedrige
Wasserstand ist 1938 erst am 24. eingetreten. Dieses „singuläre“ Minimum am
23, XI, das in dem jährlichen Gang, errechnet aus den Tagesmittelwerten der
Jahre 1902 bis 1937, zugleich der absolut niedrigste Wasserstand in den Monaten
April bis Dezember ist, scheint von den Singularitäten in der Zyklonenfrequenz (2)
unabhängig und möglicherweise die Folge einer noch unbekannten, kalendermäßig
gebundenen Umschichtung der Ostseewassermassen zu sein.
Tan
1) Nicht veröffentlicht.