Ann. d. Hydr. usw., LXIV. Jahrg. (1936), Heff XII
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Dr. J.-B. Charcot +,
Am 16. September 1936 5%h ist das Tranzösische Forschungsschiff „Pourquoi-
Pas“ in der Faxabucht auf Island unweit Reykjavik gestrandet, als es — auf der
Heimreise von einer erfolgreichen Forschungsfahrt nach Ostgrönland — vor
einem schweren Südweststurm Reykjavik als Nothafen anlief, Mit Ausnahme
eines Mannes ist die 35köpfige Besatzung ums Leben gekommen, darunter der
wissenschaftliche Leiter Dr. Charcot. Außerdem befanden sich vier Wissen-
schafter an Bord, Dr. Parat, der schon 1935 Charcot nach Grönland begleitet
hatte, Prof. Jaecquiert (Sorbonne), der Physiker Devaux, der Sekretär der
Soei6t& de Geographie Larronde sowie ein Maler,
Sie sind gefallen im Dienste der wissenschaftlichen Forschung, Ihr Andenken
wird in Ehren gehalten werden, | Se
Jean-Baptiste Charcot, geb, 17. Juli 1867 zu Netilly als Sohn des Klinikers
Jean-Marie Ch, studierte Medizin, promovierte darin und wurde Leiter einer
Nervenklinik, trat sogar in das berühmte Institut Pasteur ein. Daneben aber
trieb ihn seit seiner Jugend ein unbezwinglicher Drang zur Seefahrt, der ihn
wohl auch veranlaßte, bei der Marine (auf „Bouvet“) seiner Dienstpflicht zu
genügen. Schon 1898 hat er genügend Erfahrung, um mit einem anderen Ver-
fasser ein „Handbuch der Navigation durch Cissung und Messung“ zu veröffent-
lichen. 1899 rüstete er mit eigenen Mitteln einen kleinen Schoner aus, als dessen
Kapitän und wissenschaftlichen Leiter (wie bei fast allen. späteren Fahrten) wir ihn
1901 bei den Shetlands, Hebriden, Färöer, 1902 bei Islarıd und Jan Mayen finden).
Den Anstoß zur Arbeit in der Arktis hat Charecot erhalten durch die groB-
artige Organisation „Internationale Kooperation“, die gemeinsame Forschungs-
arbeit mehrerer Nationen im Südpolarland, die Frucht langjähriger Bemühungen
von G, von Neumayer. 1901 sandien. Deutschland (vr. Drygalski auf „Gauss“),
England (Scott auf „Discovery“), Schottland (Bruce auf „Scotia“) und Schweden
(Otto Nordenskjöld auf „Antaretie“) nach gemeinsamem Plan große, aus-
yezeichnet ausgerüstete Expeditionen zum konzentrischen Ansturm auf das Süd-
polarland, Charcot war durch seine geringen Mittel auf die Arktis angewiesen
und dachte an eine Expedition nach Nowaja Semlja, auch, wie sich angegeben
Hndet, an die nordöstliche Durchfahrt, Zugleich sollte diese Unternehmung eine
Vorexpedition für eine spätere französische Antarktis-Expedition sein.
Als Charcot seinen Arktisplan einem wissenschaftlichen Gremium zur Begut-
achtung vorlegte, zeigte sich das Zutrauen zu dem 34jährigen Manne darin, daß
die Gelehrten der Academie des Sciences und des Bureau des Longitudes ihn
veranlaßten, sein arktisches Projekt zugunsten. einer großen anftarktischen
Expedition. aufzugeben, nachdem die ersten Nachrichten der englischen und
schwedischen Expedition von hochwichtigen geographischen und naturwissen-
schaftlichen Entdeckungen berichtet hatten?),
*) Eine Zusammenfassung der von ihm oder unter seiner Leitung ausgeführten Arbeiten, die also
den langen Zeitraum von. 47 Jahren umfassen, besteht. nicht; die folgende Übersicht ist zum Teil mit
Hilfe von biographischem Material verfaßt worden, das der Verfasser dem französischen Generalkonsulat
in Hamburg verdankt, .
2) In der Lit, (Hasser£f, Die Polarforschung, 3. Aufl. 1914 S. 120 u. 122; H, Froidevaux
in Larousse Mensuel Nz, 330 Aug, 1934 S. 762/763) findet sich die Angabe, die Expedition 1908 bis
1905 auf „Francais“ sei als Entsatzexpedition für die überfüllige schwedische „Antarctie“- Expedition
von ©. von Nordenskj]öld ausgesandt worden, Diese Angabe dürfte sich nicht aufrechterhalten Lassen
Nach dem Exp.-Werk (Anm, 2 S. VII} begann die öffentliche Werbung für Charecots Expedition schon
Ende 1902, Die Kiellegung des „Francais“ erfolgte am. 15. Januar 1903, Die deutsche Expedition
erreichte am 31. Mai 1903 die afrikanische Küste mit der Möglichkeit der Nachrichtenübermittelung,
Das Ausbleiben der „Äntaretie“ konnte jedenfalls vor Mitte Mai 1903 zu keiner Besorgnis Anlaß geben,
Auch in dem Schrifttum der französischen Expedition, insbesondere in dem öffentlichen Aufruf
findet sich kein Hinweis auf diesen Zweck der Expedition, den man sich zur wirksamsten Werbung
keinesfalls hätte entgehen lassen. Daß dann später bei der Ausreise im August 1903 die Absicht
bestand, den nunmehr überfälligen, obendrein im gleichen Gebiet (Graham-Ld.) tätigen Schweden zu
Hilfe zu kommen, ist selbstverständlich, wird aber auch nur an einer Stelle von Öharcots wissen-
schaftlichem Tagebuch, beim Zusammentreffen mit dem schwedischen Entsatzechiff „Frithjof“ bei
Madeira nebenbei erwähnt,
Ann. d. Hrydr. usw. 1936, Heft XML.