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Full text: 64, 1936

382 Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, September 1936. 
rein dynamische, und sie sieht fälschlich die waagerechte Komponente als be- 
deutungslos an, Freilich glaubte Newton, die Trägheit und die Bewegungs- 
hindernisse könnten den Eintritt des Hoch- und Niedrigwässers noch ein wenig 
verändern; Später scheint er der Trägheit noch mehr Einfluß beigemessen zu 
haben. Aber auch Bernoulli (1740, S, 162) ist keineswegs im Unklaren über 
die Bedeutung der Trägheit: „Alle diese Sätze sind nur gültig im der Theorie, 
„wenn man voraussetzt, das Wasser befinde Sich beständig in seinem Gleich- 
„gewichtszustand, und die ganze Erde sei unter Wasser ..., es ist wahr, daß 
„die beiden genannten Annahmen weit von der Wahrheit entfernt sind (»bien 
„Cloignees de Ia yerite@«) .... trotzdem bleiben sie sehr nützlich“ Und sein Mit- 
bewerber um den von der Pariser Akademie ausgesetzten Preis, L, Euler (1740, 
5, 273; 299f£), macht sogar den Versuch, die Wirkung der Trägheit durch Ver- 
gleich mit erzwungenen Schwingungen eines Pendels die Trägheit zu über- 
schlagen, verzichtet jedoch auf eine vollständige Behandlung, da die Hydro- 
dynamik noch nicht weit genug entwickelt sei („res hoc quidem tempore fere 
desperata videtur“), Die Forscher jenes Zeitalters waren sich also der Bedeu- 
tung der Trägheit sehr wohl bewußt. 
Erst P, S, Laplace (1775) war es vorbehalten, den Schritt zur dynamischen 
Theorie (oder Wellentheorie) der Gezeiten zu tun, Er berücksichtigt in seinen 
Gleichungen auch dynamisch die Achsendrehung‘ der Erde (zwei Menschenalter 
vor Coriolis!) und ihre Abplattung, welch letztere er dann allerdings als un- 
arheblich beiseite läßt; hiergegen wendet Solberg (1986) ein, daß dadurch ein 
innerer Widerspruch in die Gleichungen kömme, weil die beiseitegesetzte Ab- 
plattung‘ eine Folge eben. derselben Umdrehung sei, deren dynamische Wirkung 
Laplace beachtet, Ferner sieht Laplace die senkrechte Komponente der Be- 
wegung;, Geschwindigkeit und Beschleunigung als klein gegenüber der waage- 
rechten an. und vernachlässigt sie neben ihrz dadurch wereinfachen sich die 
Gleichungen so weit, daß er sie mittels unendlicher Potenzreihen lösen kann 
(s. z.B. Lamb 1907, 5. 3851f), Während also Newton die waagerechte Kompo- 
nente ausschied, tat umgekehrt Laplace dasselbe mit der senkrechten. Zur 
Rechtfertigung kann man z, B. darauf verweisen, daß an den atlantischen Küsten 
Europas häufig sehr starke Gezeitenströme zu beobachten. sind, durch welche 
die Wasserteilchen kilometerweit in waagerechter Richtung hin und her 
schwingen, während ihre Auf- und Abbewegung nur ein paar Meter erreicht. 
Nach dieser Auffassung entstehen Flutberge nicht so sehr durch eine senkrechte 
Hebung, sondern diese selbst ergibt sich, wenn die Wasserteilehen sich durch 
Zusammenströmen anhäufen, während ein Wellental sich dort bildet, wo die Strö- 
mung sie auseinanderführt, ähnlich der Verdichtung und Verdünnung der Luft 
bei Schallwellen, Zugunsten dieser Auffassung der Gezeiten sprechen endlich die 
Erfolge, welche die auf sie sich gründenden Bearbeitungen der Gezeiten in einer 
großen Reihe von Kanälen, Meerbusen und Randmeeren seitens Proudman, 
Doodson, Sterneck und Defant gehabt haben, und über die an dieser Stelle 
wiederholt berichtet wurde, 
Trotzdem richtet Solberg (1936) seinen Haupteinwand gegen die alleinige 
Berücksichtigung der waagerechten Komponente; da Laplace die senkrechte 
Komponente der Beschleunigung beiseite läßt, so hängt der Druck nur von der 
Aöhe der Wassersäule ab, wie bei einer ruhenden Flüssigkeit, und darum nennt 
Solberg die bisher allgemein als „dynamisch“ bezeichnete Laplacesche 
Theorie eine „quasistatische‘“, und stellt ihr seine neue „exakt dynamische“ 
gegenüber; damit reiht sich den. bisherigen beiden geschichtlichen Abschnitten 
der Gezeitentheorie, dem statischen und dem quasistatischen, ein dritter, der 
eigentlich dynamische, an. Natürlich bestreitet Solberg die gekennzeichneten 
Erfolge der letzten Jahrzehnte in kleineren Gewässern nicht, und er weist 
darauf hin, daß das unangefochtene Bestehen der Laplaceschen Theorie durch 
anderthalb Jahrhunderte zeige, welche „ungeheure Leistung“ sie seinerzeit dar- 
stellte. Aber er fordert für eine Betrachtung‘ der Gezeiten im Großen eine 
Mitberücksichtigung der senkrechten. Komponente, Daß ihre Nichtbeachtung 
einen ernsten Fehler bedeute, haben anscheinend V, und J. Bjerknes, Solberg
	        
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