Grundmann, W.: Über die Nullpunktsänderung: der Thermometer usw. 489
liche oder zumeist künstliche Alterung!)®*) versucht man die in der Thermometrie
zur Anwendung kommenden Gläser in eine Art Gleichgewichtszustand zu ver-
getzen, in dem dann eine Konstanz in der Gesamtstruktur des betr. Glases
herrscht. Einen vollkommen stabilen Gleichgewichtszustand zu erreichen ist
aber kaum möglich und wenn, dann doch nur für bestimmte relativ eng be-
grenzte Temperaturstufen, Dies kann man etwa so erklären, daß das ursprüng-
lich amorph erstarrte Glas langsam kristallinisch wird und dabei sein Yolumen
verkleinert, somit einen dauernden, Nullpunktsanstieg bewirkt; dieser Umwand-
Jungsprozeß ist bezüglich der Schnelligkeit eine Funktion der Temperatur, Mit
der Zeit stellt sich bei jeder Temperatur angenähert ein GHeichgewicht ein, das
aber durch jede größere Temperaturänderung wieder gestört wird.
Man unterscheidet hauptsächlich zwischen zwei verschiedenen Nachwirkungs-
erscheinungen des Glases, den reversiblen und den vollkommen oder unvoll-
kommen irreversiblen. Die reversible Nachwirkung besteht darin, daß
temperaturbedingte Volumveränderungen des Glases bei rascher Wiederherstellung
der Ausgangstemperatur nicht sofort wieder zurückgehen. Das heißt, daß ein
auf 0°C justiertes Thermometer nach Erwärmung und darauffolgender rascher
Abkühlung zu niedrig, eine Nullpunktsdepression, zeigt, die aber mit der Zeit
wieder verschwindet, Diese beträgt beispielsweise bei Jenaer Glas 161% und 5914
je nach dem Temperatursprung etwa zwischen 0,03° und 0.05° C, bei Verre dure
zwischen 0.4° und 0.7°C.,
Die irreversiblen Nachwirkungserscheinungen äußern sich in einer durch
dauernde Volumveränderung des Glases hervorgerufenen Verschiebung der
Fundamentalpunkte, und zwar derart, daß diese infolge der Glaskontraktion im
Laufe der Zeit langsam ansteigen. Diese „Nullpunktsattraktion“ (Nullpunkts-
hebung) hält oftmals, mit allerdings verzögerter Geschwindigkeit, jahrelang an.
Bei einem frisch hergestellten Thermometer (ungealtertes Glas) kann der bei
kalifreiem Hartglas (16% und 59!) durch längeres Erhitzen hervorgerufene
Gesamtanstieg im Laufe der Zeit bis zu etwa 10° C, bei gewöhnlichem Glas bis
über 20°C betragen. Bei künstlich gealterten Hartglasthermometern beträgt die
Nullpunktshebung im Durchschnitt anfangs, d. h, im ersten Jahre bis zu 0.08° C,
im zweiten Jahre etwa 0.01° bis 0.02°C. Der zusätzliche Anstieg beträgt dann
von Jahr zu Jahr weniger; im Endeffekt beträgt die Nullpunktshebung nach
12 Jahren im Durchschnitt 0.07° bis 0.08° C, vorausgesetzt, daß das Glas gut
gealtert und das Thermometer während dieser Zeit nie — auch nur vorüber-
gehend — Temperatüren von 50° C und darüber ausgesetzt war‘).
Für den Meteorologen und Klimatologen interessiert nun in erster Linie,
welchen Anstieg die von ihm verwandten gebräuchlichen Quecksilberthermometer
unter den in der Natur obwaltenden Temperaturverhältnissen mit der Zeit
erfahren.
Diese Frage zu klären, unterwarf ich im Laufe der Jahre 1928 bis 1934 im
schlesischen Stationsnetz untergebrachte Quecksilberstationsthermometer (Ein-
schlußthermometer mit Fueß’scher Skalenbefestigung)*), die zum Teil in den
Jahren 1911 bis 1929 von den Eichinstituten — Physikalisch-Technische Reichs-
anstalt (PTR) und Thüringisches Staatsprüfamt (TLMG) einer erstmaligen Eichung
unterzogen waren, in zeitlichen Abständen mehreren Nacheichungen, deren Er-
gebnisse an fünf Beispielen — von 27 derartigen Eichreihen — in der Tabelle 1
für 0° C wiedergegeben sind. Für die anderen Temperaturen sind die Prüf-
ergebnisse entsprechend.
) Marchis, Zechr, f. Phys, Chem. 37, 553 u. 605, 1911, -— 2%) Die künstliche Alterung besteht
darin, daß man das Glas während mehrerer Tage auf 450° bis 500°C erhitzt und dann sehr langsam
abkühlt, oder aber während mehrerer Stunden abwechselnd stark erhitzt und kühlt. — 3%) Nach
Östwald-Luther, Physiko-Chemische Messungen, beträgt z. B. der Nullpunktsanstieg künstlich
gealterter Gläser: bei 100° am ersten Tage 0.1°, am zweiten 0.05°, am dritten 0.02° C; bei 200° in
den ersten 10 Stunden 0.4°, in den zweiten 0.2°, in den dritten 0.1° C'; bei 360° in den ersten
LO Stunden 25°, in den zweiten 1.0° und in den dritten 0.5° C, (Bei gewöhnlichem Glas sind die
entsprechenden Zahlen etwa fünfmal so groß.) — *) Eine andere Skalenbefestigung ist in der Meteoro-
logie seltener anzutreffen, Die Papierskalen, wie sie beispielsweise bei Erdbodenthermometern und
sogen, Pulverthermometern noch anzutreffen sind, sollten besser ganz verschwinden.