Bongards, H.: Ist es nötig, die Tabellen der maximalen Dampfspannung zu reformieren? 203
kompensiert wird. Abgesehen davon ist auch der Begriff „hygroskopisch“ an
sich kein Unterscheidungsmerkmal, das eine scharfe Grenze zwischen Stoff-
gruppen zu ziehen gestattet, weil kein Stoff bekannt ist, der nicht wenigstens
an seiner Oberfläche Wasser adsorbiert und der in Wasser vollkommen unlös-
lich wäre‘). .
Die große Ähnlichkeit der Erscheinungsformen beim Übergang aus einem
höheren in einen niederen Aggregatzustand läßt die Vermutung berechtigt er-
scheinen, daß beim Übergang aus dem gasförmigen in den flüssigen Zustand die
Wirksamkeit der „Keime“ oder „Kerne“ auf den gleichen Ursachen beruht wie
beim Übergang aus dem flüssigen in den festen Zustand, z, B, bei der Kristallation,
für welche die Art und Entstehung der Kristallationskerne oder Keime als
einigermaßen geklärt gelten kann. Nach Eucken?) ist für die Bildung eines
KXristalls in einer unterkühlten Schmelze eine gewisse Ordnung und vor allem
eine bestimmte Richtung der auskristallisierenden Molekelin notwendig. In einer
Flüssigkeit sind aber im allgemeinen die Molekeln gerade ebenso wie in einem
Gase völlig ungeordnet. Es kann nun aber rein zufällig während der dauernden
Bewegung der Molekeln gegeneinander der Zustand eintreten, daß eine Anzahl
benachbarter Molekeln eine gleichgerichtete Lage einnehmen, Diese Molekel-
gruppe bildet dann als Kristallelement den Keim, der auch die benachbarten
Molekeln in eine bestimmte Lage zwingt und damit den Anstoß zur Kristallisation
bildet. Es kann eine geraume Zeit dauern, bis in einer unterkühlten Schmelze
eine geordnete Molekelgruppe sich bildet. Man kann sich denken, daß diese
Zeit gering ist, wenn z. B. die Molekeln die Form von Plättchen haben, bei
denen die Wahrscheinlichkeit, daß sie mit ihren Flächen zusammenstoßen oder
beim Zusammenstoß sich drehen und aneinanderlegen, größer ist als z. B, bei
zylindrischen Formen von dem Durchmesser gleicher Höhe. Ebenso kann man
annehmen, daß Molekeln von allseitig rotationssymmetrischer Gestalt, wie Kugeln
oder auch vielflächige Polyeder, eine Sonderstellung einnehmen, weil sie stets
eine gewisse Ordnung unabhängig von ihrer Lage im einzelnen ergeben, Eine
besonders regelmäßige Form nimmt man insbesondere bei den Stoffen an, deren
Kristalle sich nicht aus Molekeln, sondern unmittelbar aus Atomen aufbauen,
Hier ist offenbar die Wahrscheinlichkeit einer geordneten Richtung benachbarter
Teilchen sehr groß und es kommt nur darauf an, daß eine Reihe solcher
Teilchen sich in der Lage, in der sie sich gerade befinden, miteinander ver-
ketten. Dementsprechend ist auch bei keinem reinen Körper, der in festem Zu-
stand als einatomig gilt, eine Unterkühlung der Flüssigkeit beobachtet worden,
Daß elektrische Kräfte auf Molekeln, die man sich wohl als mit elektrischen
Ladungen ausgestattet vorzustellen hat, eine ordnende Richtkraft ausüben können,
versteht sich von selbst. Damit wäre die Rolle der Ionen als Kondensations-
kerne plausibel und man könnte dann auch verstehen, daß Teilchen mit besonders
starken elektrischen Feldern, wie sie z. B. die von radioaktiven Stoffen .aus-
gesandten «-Teilchen, also vierfach ionisierte Heliumatome, darstellen, besonders
stark kondensierend wirken. Auf die Beobachtung von Curie, daß in Gegenwart
von Radiumemanation Kondensation in ungesättigtem Wasserdampf eintreten
kann, habe ich früher®) mehrfach hingewiesen,
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Beobachtungen von Volmer*),
nach denen in einem gerichteten Strahl von Cadmiumdampf Kristallbildung
and -wachstum an einem Hindernis eintritt, was anscheinend nur so zu erklären
ist, daß einzelne an dem Hindernis in gerichteter Lage adsorbierte Molekein
aus dem Dampfstrahl Molekeln gleicher Richtung „herausfangen“.
Man wird zwar diese aus der Forschung über die Kristallbildung gewonnenen
Erkenntnisse nicht schematisch auf die Kondensation in übersättigtem Wasser-
dampf übertragen können, doch wird man nicht die Möglichkeit ausschließen
dürfen, daß in übersättigtem Wasserdampf auch ohne die Anwesenheit fremd-
artiger Kerne eine Kondensation möglich ist durch zufälliges Zusammentreffen
1) Bongards: „Feuchtigkeitsmessung“, S. 206/7, S, 220. — % Eucken: Lehrbuch der chemischen
Physik, Leipzig 1930. — % Bongards: Die Arbeiten d, Kgl. Aeron. Obs. b. Lindenberg i, J. 1913 9.
413, 1914, Meteorolog. Zeitschr. 36, 340, 1919. — *) Volmer: Zeitschr. f, Physik 5, 31, 1921.