Lettau, H.: Ausgewählte Probleme bei stehenden Wellen in Seen. 15
Die erste Resonanzbedingung wird jedoch im allgemeinen weniger zur An-
regung geordneter stehender Schwingungen in Frage kommen, da sie sämtliche
Einzelwellen, die in ihrer Überlagerung ine beliebige Verbiegung der Wasser-
oberfläche darstellen lassen, gleichmäßig betrifft. Die zweite siebt gewissermaßen
dagegen nur eine bestimmte Teilbewegung aus, nämlich diejenige mit dem
besonderen ganzzahligen Wert », für welchen gilt; » = + De Das Unendlich-
werden der Ausschläge für solche » wird in der Natur infolge Reibung in einen
Vorherrschungsbereich der betreffenden Einzelwelle umgewandelt. Es liegt nahe,
den Satz aufzustellen: Eine nichtperiodische, aber fortschreitende waage-
rechte Kraft erscheint im Besitze einer ein ganzzahliges Vielfaches
von oc==)gh betragenden Geschwindigkeit zur Anregung nennens-
werter Seichesbewegungen besonders geeignet. Der Grundwert c stellt
die Fortpflanzungsgeschwindigkeit langer Wasserwellen (Lagrangesche Formel)
dar, hängt also für jedes Seebecken auf der Erde im wesent-
lichen nur von der mittleren Tiefe ab, Tabelle 1,
Tabelle 1 enthält einige Zahlenwerte für Tiefen von 1 bis
200 m. Als Kräfte der vorausgesetzten Beschaffenheit kommen
in der Natur ausschließlich meteorologische in Frage, Die
Grenze der mittleren Geschwindigkeit von Böen und Luft-
druckstufen (Gewitternasen, Kaltlufteinbrüchen) liegt unter
30 m/sec. Bei durchschnittlich mehr als 100 m tiefen Ge-
wässern wird also keine der genannten Erscheinungen in
Resonanz stehen, sobald ihr Auftreten unperiodisch bleibt.
Nur bei flacheren Seen können unsere obigen Betrachtungen
einen praktischen Wert erreichen, Anzunehmen ist jedoch
auch, daß dabei in der Natur der mittleren Tiefe eine mehr
als rechnerische Bedeutung zukommen sollte, d. h. unsere Voraussetzung kon-
stanter Tiefe darf nicht allzu erheblich verletzt werden, — Bleibt die mittlere
Tiefe unter 25 m, so liegt bei einknotigen stehenden Wellen die kritische Ge-
schwindigkeit bereits in der Größenordnung nicht ungewöhnlicher Luftbewegungen,
während für zweiknotige die Grenzfälle erforderlich sind usw. ‚Je flacher ein
See, um so mannigfaltiger erweist sich die Möglichkeit der Anregung verschie-
dener Bewegungszustände.
Die hier rechnerisch abgeleitete Resonanzbedingung *) bestätigt den bei einer
Bearbeitung der Seiches der ostpreußischen Haffe angedeuteten empirischen
Befund. Gemessen an der Seltenheit des Auftretens stehender Wellen in diesen
außerordentlich gleichmäßig 3 bzw. 4 m tiefen Gewässern erfordert die Natur
eine recht scharfe Erfüllung der Bedingung, vielleicht auch ein Zusammentreffen
der beiden verschiedenen, wie es jedenfalls für die Pillauer Seiche vom 5. und
6. April 1931 klar der Fall war [1]**). Die Störung trat damals gemäß den Auf-
zeichnungen des Danziger Waagebarographen als ausgeprägte Druckstufe in Er-
scheinung, während ihre Fortpflanzung bei einer gut der Wellengeschwindigkeit
entsprechenden Größe lag. Eine Untersuchung der stehenden Wellen des Ku-
rischen Haffes [8] ließ eine Anzahl Beispiele finden, welche in dem Auftreten
von ein- oder zweiknotigen Schwingungen je nach der Schnelligkeit von Zyklonen-
verlagerungen dem obigen Satz weitere ziffernmäßige Stützen lieferten.
II. Beim Frischen Haff weist die Normalkurve drei auffallende Einschnü-
rungen auf. Die Schwingungsdauern der dadurch bedingten vier Teilbecken
stimmen rechnerisch auf 2 % miteinander überein, wie ein Überschlag mit den
Werten einer früher gegebenen Darstellung [1] ergibt. Diese Tatsache wurde
in der Weise zu deuten versucht, daß den Wasserströmungen bei Seiches
beckenumgestaltende Wirkungen zugesprochen werden können. Qualitativ ließ
*) Anmerkung bei der Korrektur: Nachträglich gelangte mir zur Kenntnis, daß 8, E. Stenij
in einer Abhandlung »Zur Theorie der Wasserschwingungen in einem begrenzten Meeresbecken«
(Soe, Seient. Fenniea VI. 16, Helsingfors 1932) eine vom theoretischen Standpunkt aus umfassende
Ableitung derselben Resonanzbedingung erbrachte.
**) Die Zahlen in eckigen Klammern weisen auf das Literaturverzeichnis am Ende der Arbeit hin.