Castens, G.: Georg Wüst: Das Bodenwasser und die Gliederung des Atlantischen Ozeans. 189
Schrägstellung der Isothermen wird mit Recht hervorgehoben (S. 76): „aus
den Unterschieden ihres Ausmaßes können wir auf Geschwindigkeitsunterschiede
schließen“ —- ja, vor allem lassen sich wohl auch überraschende Geschwindigkeiten
erwarten. Aber noch mehr: manche der Schnitte drängen die Folgerung auf,
daß wir uns davor hüten müssen, den „Antarktischen Bodenstrom“ als eine ein-
[örmig nach Norden gehende Bewegung (mit einigen von Wüst gekennzeich-
neten Abzweigungen) aufzufassen; es dürfte den tatsächlichen Verhältnissen wohl
näherkommen und auch allgemein-geophysikalisch wahrscheinlicher sein, daß
innerhalb der einzelnen Becken am Boden kreisende Bewegungen mit
vertikalen Versetzungen im Zentrum und an der Peripherie statt-
finden. Selbstverständlich werden diese Kreisläufe Abzweigungen nach den
Nachbarbecken hin haben, so daß die wertvollen bisher beleuchteten Ergebnisse
von Wüst durch die neue Vorstellung nicht berührt werden, Es liegt nahe, ein-
mal den Versuch zu machen, den antarktischen Einschlag des Wassers rechts
und links von der tiefsten Rinne zu ermitteln, um festzustellen, ob in der Tat
z. B. das östliche Beckenwasser der südatlantischen Westmulde bei Voraussetzung
eines zyklonalen Umlaufs „älter“, also weniger „antarktisch“ ist als das west-
liche. Ein betreffender Versuch meinerseits scheiterte völlig, mußte es wohl auch,
da — ganz abgesehen von der auf Seite 185, Fußnote 3, erwähnten „Unsicher-
heit“ und der für solche Untersuchungen noch kaum ausreichenden Stations-
zahl — das im Falle zyklonaler Bewegung zentrale, bei antizyklonaler hingegen
peripherische Absinken von Wasser aus höherem Niveau alle Seiten des Boden-
kreislaufes beeinflußt. Diese Frage bleibt mithin vorläufig noch ungelöst; ihre
Beantwortung setzt eine Kenntnis der Gesamt-Tiefendrucke voraus, die viel-
leicht die mögliche Bestimmungsgenauigkeit noch überschreitet. Der Gedanke,
der mich bei dem hier mehrfach angeführten Begriff des „Alters eines Wasser-
körpers“ leitete, zielt dahin, Wüsts neues „Wasserart-Kriterium“ mit Watten-
bergs „Alters-Idee“!) zu vereinigen, um die Verwertung der letzteren auch in
solchen Fällen zu ermöglichen, in denen der Ausgangspunkt einer Bewegung
nicht an der Meeresoberfläche liegt,
Sehr beachtlich erscheinen mir die Beziehungen, die Wüst aufdeckt zwischen
dem antarktischen Bodenwasser und der regionalen Verbreitung der kalkarmen
Sedimente, besonders des roten Tiefseetons: solche Ablagerungen werden nach
ihm in den Becken angetroffen, in denen das antarktische Bodenwasser 10%
und mehr seiner ursprünglichen Eigenschaften aufweist (S. 59).
Seine mit den thermischen Verhältnissen zusammenhängenden Schlußfolge-
rungen gründet Wüst durchweg auf die „potentiellen“ Temperaturen bzw.
auf deren Verbindung mit dem Salzgehalt. Es ist dankenswert, daß einmal
mit sicherlich gewaltigem Arbeitsaufwand der Versuch unternommen worden ist,
den Helland-Hansen’schen betr. Gedanken aufzugreifen und für einen ganzen
Ozean anzuwenden. Ich meinerseits kann mich nicht des Eindrucks erwehren,
daß fast alle Schlüsse auch mit Hilfe der „Temperatur in situ“ sich hätten
ziehen lassen. Durch „t,“ sollen die Temperaturänderungen ausgeschaltet werden,
die sich aus vertikalen Verschiebungen der Wassermassen infolge von Relief-
Unterschieden ergeben; was nach Ermittlung von tt, noch an Temperatur-
unterschieden im Bodenwasser nachbleibt, ist nach Wüst eine Folge von Mischung
mit fremden Wasserarten. Meines Erachtens muß man auf Grund der Begriffs-
definition erwarten, daß die im Kartenbild auftretenden Temperaturunterschiede
bei Anwendung von t, (Wüsts Beilage I), wenn auch nicht viel — das liegt in
der Natur des Wassers —, so doch immerhin in einem im Mittel noch merklichen
Grade, abgeschwächt werden gegenüber denen der t;-Karte (Beilage III), jeden-
Falls aber diese nicht übersteigen. Ich berechne nun für die einzelnen Becken
der Westmulde die in Tabelle 3 zusammengestellten Bereichsweiten der vor-
kommenden Temperaturen, d. s. die Unterschiede zwischen den hchsten und
tiefsten Werten, Das Ergebnis läßt —— vielleicht weil die Methode zu roh
1) Ann. Hydr. 1931, S. 335.