Kleinere Mitteilungen.
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hier der Herbst nicht fortgeschrittener ist als etwa in den märkischen Waldungen
oder in der Nähe von Hamburg bei Blankenese. Hierzu stand der Frühling im
Gegensatz, den ich in Dänemark und Südschweden im Mai erlebte mit einer
Verspätung von wohl drei Wochen gegenüber Mitteldeutschland. Allerdings war
der diesjährige skandinavische Sommer bis in den Frühherbst hinein ausnahms-
weise warm bei hinreichenden Niederschlägen. Für diese Ausnahmewitterung
sprechen die unglaublich billigen Preise der Tomaten, die auch in Trondheim
voll ausreiften. In der Landwirtschaftlichen Hochschule zu Äs verzehrte ich
geschmacklich hervorragende süße blaue Freilandtrauben, — In der zweiten Hälfte
des Oktober schneite es eines Tages, so daß auf den 400 m hohen Nachbarbergen
(Frognerseter), die in einer halben Stunde mit der elektrischen Bahn zu erreichen
sind, bereits für wenige Tage Ski gefahren werden konnte, Die Zentralheizungen
waren überall in Betrieb. Für mich war die Temperatur im Hause, in den
Autobussen, Straßen- und Eisenbahnwagen unangenehm hoch, da die kleinen
tragbaren Petroleumöfen in Chilel) in bezug auf häusliche Wärme nicht ver-
wöhnen. Es wurde mir aber bald klar, daß sich die Außenkälte viel besser
ertragen läßt, wenn man aus einem gut durchwärmten Hause heraus- oder in
ein gut durchwärmtes Haus hineinkommt. — Übrigens hat die ständig zu-
nehmende Verbreitung der Zentralheizung in Oslo zur Folge gehabt, daß die
Wanzen durch die erzeugte trockene Wärme zu einer wahren Plage geworden
sind; sie wandern die Rohre entlang von Raum zu Raum. Kurz vorher hatte
mir ein Parasitologe mitgeteilt, daß in dem relativ feuchten Klima Oslos die
Wanze selten wäre, etwa im Gegensatz zu Kopenhagen. So sieht man, wie die
Technik gegen den Willen des Menschen künstlich ein spezifisches Parasiten-
klima erzeugt.
Trotz der winterlichen Verhältnisse, die eingesetzt hatten, knospeten und
blühten in den Osloer Gärten die Rosen. Und als ich auf dem Wege von Flaum
nach Gudvangen am 1. November 1933 — nach einer Bahnfahrt durch schnee-
bedecktes Gelände mit zahlreichen Skispuren in den Höhen von 800 bis 1000 m —
über den Sognefjord fuhr, wo das Thermometer bei Aurstad auf — 10° gefallen
war und der Dampfer 5 cm dicke Eisplatten zerteilte, wurde hier gleichzeitig
die letzte gelbe Rose gepflückt.
Bedenkt man, daß andererseits vor noch nicht 200 Jahren bei einem starken
Vorstoß der norwegischen Gletscher die benachbarten Matten derartig von Eis
bedeckt wurden, daß der Viehhaltung ein ernster Schaden erwuchs, so sind etwa
durch die vorher gegebene Schilderung des diesjährigen Sommers die lebendigen
Grenzen des Klimas der Neuestzeit gegeben. Man erkennt, welche geringen
Änderungen letzten Endes in den Klimaelementen notwendig wären, um etwa
die Reifebedingung für typische Kulturpflanzen niederer Breiten als einem
mittleren Zustand zu bewirken, oder andererseits die Bewohnbarkeit eines Landes
zu mindern.
Teile des Sognefjords sind unter Föhneinwirkung bevorzugte Gebiete des
norwegischen Tabakbaues. Nach der Ansicht von Fachleuten könnte das nörd-
lichste Land Europas seinen Tabakverbrauch fast autark erzeugen, wenn nicht
die Regierung in ihrem Interesse an den Einfuhrzöllen für das ausländische
Erzeugnis den Tabakbau im eigenen Lande künstlich herunterdrücken würde,
Auf der Weiterfahrt blieb ich einen Tag bei strahlendem Sonnenschein in
Voss, das im Gegensatz zu dem kontinentaleren Oslo schon maritim beeinflußt
ist: Auf den Höhen kein Schnee, in den Föhrenwäldern grüner Holunder als
Bodenvegetation, vor den Häusern grünbeblätterte Fliedergebüsche, an den kahlen
Kirschbäumen und den Rosenhecken bereits kleine Blattknöspchen. Die bunten
Bauernhäuser stehen in quellender Grasflur, und dazu weiden Tag und Nacht
Rinder, vor allem aber Schafe und Ziegen im Freien, Im Gegensatz zum Süden
Norwegens hat man hier nicht den Eindruck eines Herbst-, sondern eines sieg-
haften Frühlingstages. — Ziegenherden im großen Ausmaße galten mir bisher
als faunistisches Kennzeichen typisch etesialer Verhältnisse wie in Kleinasien,
Italien, Nordafrika, im „kleinen Norden“ Chiles oder im mittelchilenischen Längstal;
Meinem ständigen Wohnsitz.