Scherhag, R.: Die Entstehung des Ostsee-Orkans vom 8, und 9. Juli 1931, 161
Hochebene, den wir in Abb. 8, die den Isothermenverlauf am Morgen des 7. nach
Jjem Wetterbericht der Deutschen Seewarte wiedergibt, deutlich erkennen, Nun
erfolgt die Bildung einer Depression auf der Leeseite dieses Kaltlufttropfens,
yanz im Sinne der Exnerschen‘) Vorstellung. Das Tief hat einen Kaltluft-
sektor. Für den Druckfall maßgebend ist die auf der Vorderseite des Kaltluft-
keils eintretende Divergenz, genau so wie bei den Depressionen mit Warmsektor
die Divergenz vor der Warmfront den größten Betrag erreicht. Nicht Advektion
oder Hinderniswirkung ist für den Druckfall maßgebend, sondern die Divergenz.
Wir haben weiter oben bereits darauf hingewiesen, daß Divergenz der Höheniso-
baren mit Druckfall verbunden ist. Die Höhenisobaren gleichen sich aber den
Isothermen der freien Atmosphäre an, und im Sommer, wenn die Bodeniso-
thermen auch für die oberen Luftschichten den Temperaturverlauf annähernd
wiedergeben und nicht durch Strahlungsvorgänge gefälscht sind, müssen sich
divergente Höhenisobaren sofort aus einem divergenten Verlauf der
Bodenisothermen erkennen lassen. In der Tat zeigt Abb. 8 die über dem
Alpengebiet eingetretene auffallende Isothermendivergenz. In diesem Augen-
blick beginnt die Bildung der verheerenden 5b-Depression! Ein Kern
von 1007 mb hat sich zuerst am Mittag des 6. über Oberbayern ausgebildet, liegt
am Morgen des 7, mit 1005 mb über Westböhmen und verstärkt sich nun mit
großer Geschwindigkeit weiter. Wie die am 8, noch ausgeprägter in Erschei-
nung tretende Isothermendivergenz mit dem Druckfallgebiet zusammenfällt,
haben wir bereits hervorgehoben.
Der Druckfall im Bereich divergenter Isothermen ist eine unmittelbare Fol-
gerung der hier dargelegten Theorie über die Druckänderungen als Folge der
Konvergenz oder Divergenz der Höhenströmungen, Wir werden in einer weiteren
Mitteilung an Hand von zahlreichen Beispielen beweisen, wie die plötzliche Ent-
wicklung von Tiefdruckgebieten stets im Bereich ausgesprochener Isothermen-
divergenz erfolgt, immer am leeseitigen Ende der Frontalzonen,
Wir wiesen bereits darauf hin, daß der Druck in der Höhe mit der Zufuhr
kalter Luft stets fällt. Abb. 9 zeigt die Höhenänderung der 600 mb-Fläche vom
7. bis 8. Juli 1931, und wir sehen hier den über Deutschland, besonders über
den von der Polarluft gerade erfaßten Gebieten, in der Höhe eingetretenen Luft-
druckfall. Über Osteuropa tritt durch diesen Umstand die wesentliche Ver-
stärkung der südlichen Luftströmung ein, die dann im Ostseegebiet zur Bildung
der Höhendivergenz Veranlassung gibt.
Die Energie des Sturmwirbels stammt bei dieser Betrachtung aus der kine-
tischen Energie der Höhenströmung, die ihrerseits wieder aus der an den Fronten
konzentrierten potentiellen Energie der verschiedenen Luftmassen ent-
atehen konnte.
Die prognostische Bedeutung des baroklinen Isobarenfeldes.
In größeren Höhen (vgl. insbesondere Abb, 5 und 6) schneiden sich Isobaren
und Isothermen fast rechtwinklig. Aus Abb, 6 läßt sich sofort ersehen, daß im
Bereiche der westlichen Ostsee nach kurzer Zeit in der Höhe wesentliche Ab-
kühlung zu erwarten ist, während Königsberg zunächst von der Kaltluft noch
nicht berührt wird. Damit tritt aber westlich von Rügen in der Höhe als Folge
der Zirkulationsbeschleunigung weiterer Druckfall ein, womit der Gradient zu-
nimmt. Hiermit parallel geht aber auch eine Steigerung der Höhendivergenz
über dem Ostseegebiet, und daher ist eine weitere rasche Vertiefung der Ost-
seedepression zu erwarten.
Mit dem regelmäßigen Entwurf der Höhenwetterkarten, den schon V.Bjerknes®)
im Jahre 1912 für die tägliche Wetterprognose empfahl, müßte heutzutage, wo
sich ein dichtes aerologisches Netz über Mitteleuropa spannt, unbedingt begonnen
werden. Erst nach längerer praktischer Erfahrung vermag man dann zu ent-
scheiden, welche Fortschritte die synoptische Aerologie für die Prognose zu
geben vermag.
) 7. M. Exner, Dynamische Meteorologie, 2. Aufl., S. 339.
5 V. Bierknes, Dynamische Meteorologie und Hydrographie I, S. 84.