68 Annalen der Hydrographie und Maritinen Meteorologie, März 1933,
daß die Emsmündung in jener Zeit erheblich weiter draußen gelegen hat und
daß der 20 m-Sockel sich nicht mit der Linie der damaligen Küste deckt. Eine
ähnliche Vermutung sprach unter anderen (10) besonders Krüger aus (13), der
die Riffgründe vor den Inseln, besonders vor Borkum, mit Recht für aus-
gewaschene diluviale Höhenrücken erklärt. (Der Riffgrund vor Borkum ist in
der deutschen Fischereikarte richtig eingetragen, die Angaben über Riffgründe
vor den übrigen ostfriesischen Inseln dagegen sind unrichtig.) Wo jedoch zur Römer-
zeit die Gezeitengrenze flußaufwärts war, und wo deshalb die Küstenlinie zur Römer-
zeit anzusetzen ist, läßt sich nicht einmal mutmaßen, Sicher ist nur, daß die Küsten-
linie noch ein beträchtliches Stück außerhalb des heutigen Borkum gelegen hat.
Mit dem immer stärker werdenden Abbruch der Küste und der gleichzeitigen
Senkung des Festlandes schob sich diese Grenze, bis zu der das Salzwasser in
die Mündung eindrang, allmählich flußaufwärts. Zu irgendeiner Zeit hat sie
Emden erreicht, dann drang sie weiter flußaufwärts. Auf einer Landkarte von
1617 hat der Astronom und Pastor David Fabricius bei dem Dorfe Mark, 8 km
unterhalb Papenburg, eingetragen: hie terminus est aestus maris — bis hierher
geht die Flut. Jetzt geht sie bis Papenburg, wo eine Schleuse ihr weiteres Vor-
dringen verhindert,
Die Gezeiten wirken sich auf der Ems folgendermaßen aus (22):
1. Je höher man den Fluß aufwärts geht, um so höher liegt das Mittelhochwasser.
2, Die Größe des Gezeitenhubes nimmt durchaus nicht konform mit der zu-
nehmenden Entfernung vom Meere ab, sondern von Borkum bis Emden nimmt
der Gezeitenhub zu (Bork.: 2,40 m, Emd. Ness,; 3.00 m). Von Emden weiter
aufwärts nimmt er wieder ab (Weener: 1.70 m, Papenburg: 1.25 m). Er hängt
also neben der Entfernung vom Meere noch von anderen Faktoren ab, unter
denen Stau, Vertiefung und Begradigung des Fahrwassers im positiven Sinne,
Behinderung durch Flußschleifen, Buhnen im negativen Sinne auf die Höhe des
Hubesg wirken. Das Mittelhochwasser für Emden-Nesserland hat sich in den
Jetzten 10 Jahren um mehr als 10 em gehoben; ohne Zweifel eine Auswirkung
der Tatsache, daß infolge der planmäßigen Baggerung das Wasser ein besser
ausgeräumtes Bett vorfand.
In der Debatte um das Ausmaß der Küstensenkung ist eins der wichtigsten
Beweismittel die Stärke der Tonschichten auf dem Lande, Denn diese ist ab-
hängig von der Höhe des Mittelhochwassers. Es soll hier zu den Einzelheiten
der Küstensenkungsfrage keinerlei Stellung genommen werden, es soll bloß darauf
hingewiesen werden, daß bei den Beobachtungspunkten, die an Flußufern liegen,
wie z. B. Jemgum, neben den Veränderungen des Strombildes durch den Bau
der Deiche auch die durch die Abrasion der Küste verursachte Veränderung des
gesamten Gezeitenbildes berücksichtigt wird.
Wir haben in dieser Untersuchung festgestellt, daß die Senkung der Küste
eine verstärkte Abrasion des Küstensaumes zur Folge gehabt hat und damit
ein höheres Eindringen der Gezeiten flußaufwärts, Dadurch wird der Tidenhub
weitgehend beeinflußt. Vor dem Bau der Papenburger Schleuse reichte die
Wirkung der Gezeiten etwa bis Lathen oberhalb Papenburg. Borkum hatte,
wie wir wissen, 2.40 m Tidenhub und Lathen 0 m. Wenn die Deiche nicht vor-
handen wären, würde damit eine entsprechende Stärke der Tonschicht am Ufer
Hand in Hand gehen. Einige Jahrhunderte vor Chr, Geb. war bei Borkum
noch kein Tidenhub; es lag also mindestens so weit flußaufwärts, wie heute
Lathen liegt, immer vorausgesetzt, daß die Gezeitenverhältnisse der südlichen
Nordsee sich seitdem nicht wesentlich geändert haben. Noch weiter draußen,
an der ehemaligen Mündung der Ems in die See, war erst die Stelle, deren
Tidenhub dem des heutigen Borkum entspricht,
Dieses Gezeitenbild — draußen 2.40 m, drinnen 0 m Hub — hat sich mit
dem allmählichen Abbröckeln des Küstensaums im Laufe der letzten 2000 Jahre
langsam den Fluß aufwärts geschoben. Jeder Punkt der Emsufer hat dabei
einmal alle Stadien des Tidenhubes durchlaufen müssen von 0m bis zu seinem
heutigen Tidenhub. (Von den wohl durch den Stau hervorgerufenen besonderen
Verhältnissen bei Emden soll hier abgesehen werden.)