Windberg, F.: Zur Geschichte der Unterems.
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Das nächste Glied in der Entwicklung war, daß die Emsmündung immer
weiter landeinwärts gedrängt wurde. Wenn man bedenkt, daß große Flächen
Moorbodens (von mir 1922 erbohrt auf Memmert (2)), die doch einmal festes Land
gewesen sind, heute unter Springniedrigwasser liegen, so besteht kein Zweifel,
daß die Ursache dieser Überflutung eine Senkung der Küste gewesen sein muß,
Das muß zur Folge gehabt haben, daß das weiter Araußen vorgelagerte Land
allmählich fortgerissen wurde. Das Seewasser drang so von Jahrhundert zu
Jahrhundert immer tiefer mit den Gezeiten in die Flußmündung ein. Wir haben
als Zeugen dafür die schon erwähnte Schicht marinen Tons, die dem Süßwasserton
aufgelagert ist. Die Folgen dieses Zurückweichens der Küste waren einschneidend.
Bisher war das Wasser des Flusses in gleichmäßigem Zuge der Mündung zu-
geströmt. Nun trat ihm eine umgekehrt gerichtete Strömung entgegen. Diese
hinderte, solange Flut war, das von oben kommende Flußwasser, seinen Weg
fortzusetzen, staute es auf und brachte es bald auch zum Zurückströmen.
Das Flußwasser konnte hinfort nur so lange abfließen, wie Ebbe war, d. h.
die Hälfte der früheren Zeit, täglich nur noch 12 Stunden statt früher 24. Da
die Wassermenge sich aber nicht verringert hatte, mußte sie nunmehr in der
halben Zeit mit doppelter Geschwindigkeit abfließen, Diese bedingt aber wieder
eine vergrößerte Stromstärke, Das gesamte Bild der Flußniederung änderte sich.
Während vorher nur die regelmäßigen Frühjahrs- und Herbstüberschwemmungen
über die Ufer traten, brachte jetzt jede Tide eine Überflutung, anfangs noch
von Süßwasser, dem aufgestauten Flußwasser, später jedoch von Salzwasser. Die
Bewohner der Emsniederung wurden dadurch gezwungen, ihre Wohnplätze durch
Erdaufschüttungen zu erhöhen. Diese aus Warfenforschungen bekannte Erhöhung
der Wohnplätze (19) gibt uns den Zeitanhalt für diese ganze Untersuchung. Wir
wissen, daß der Beginn des Warfenbaus etwa 300 vor Chr. Geb. liegt. In diese
Zeit können wir also hiermit das Vordringen der Flutwelle in das Gebiet der
anteren Ems datieren, Es hat einmal eine Zeit gegeben, wo zum ersten Male
das Salzwasser von der noch weiter draußen liegenden Mündung her bis zur
Stelle des heutigen Borkum drang. Was die Römer über die Küstenverhältnisse
erzählen, paßt in diese Zeit der Umwälzungen (2) hinein. Die Einwohner wurden
auf ihren Warfen von jeder Flut zu Insulanern gemacht: Das Ackerland war
verdorben, man nährte sich ausschließlich vom Fischfang. Man hatte sich noch
nicht auf Weidewirtschaft umgestellt, die auch auf salzigem Boden möglich ist,
Die alten Wege durch die Marsch wurden jedoch immer noch benutzt; denn ein
römisches Heer ist unterwegs von der Flut überrascht worden. Man hatte sich
noch nicht daran gewöhnt, als Verkehrsweg nur die höher liegende Geest zu
benutzen, wie es späterhin ausschließlich der Fall war,
Heute zieht sich vor den ostfriesischen Inseln entlang die 20 m-Tiefenlinie
in nur wenigen Kilometern Abstand hin. Das Festland fällt also unterseeisch
recht steil ab bis zur 20 m-Linie. Von da ab seewärts liegen die Tiefenlinien
längst nicht mehr so geschart. Eine breite, nur allmählich abfallende Stufe zieht
sich vor der ostfriesischen Küste entlang. Auf diese Tatsache gründet sich die
vielfach geäußerte Annahme, in der Zeit des ausklingenden Alluviums habe
die Mündung der Ems nicht sehr weit außerhalb Borkums gelegen: der durch die
20 m-Linie umgrenzte Sockel decke sich etwa mit dem Umfang des damaligen
Festlandes, Daß an der Stelle des heutigen Borkum einmal Süßwassermarsch
gewesen ist, ist nach der Mitteilung des Pastors Nicolai zweifellos. Aus welcher
Zeit jedoch die von ihm gesehenen Acker stammen, ist nicht mehr feststellbar.
Damals, als diese Äcker noch nicht in der Reichweite der Flutwelle lagen und
noch Süßwasserflora hatten, muß die Flußmündung mindestens so weit unter-
halb dieser Stelle gelegen haben, wie heute etwa Borkum unterhalb von Papen-
burg liegt (vgl. S. 61), Die 20 m-Linie ist aber kaum 18 km von der Fundstelle
jener Äcker entfernt. Wir können deshalb nicht annehmen, daß damals die
Festlandsküste sich mit der heutigen 20 m-Linie deckte. Dann hätten die Ge-
zeiten mit ihrem Salzwasser ja nicht einmal 18 km den Fluß aufwärts dringen
müssen. Zu dieser Vorstellung gehört eine Größe des Gefälles, wie sie im Flach-
lande unbekannt ist. Wir kommen vielmehr nicht um die Folgerung herum,