358 Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, Novrember/Dezember 1933,
wechselndem Ziel, Bei einer Zielfahrt mit vorgeschriebenem Landungsort kommt
es darauf an, daß der Führer zu jeder Zeit weiß, welche Windrichtung in
Fahrhöhe sowie oberhalb und unterhalb des Ballons herrscht. Hiernach hat er
zu navigieren. Vor dem Start wird ihm bei richtiger meteorologischer Vor-
bereitung und Startberatung, meist durch die zuständige Flugwetterwarte, das
Ergebnis von Pilotballonaufstiegen in die Hard gedrückt, nachdem er vorher
die Wetterlage an Hand der letzten aufeinanderfolgenden Wetterkarten selbst
studiert hat.
Zunächst weist ihm der erhaltene Höhenwindzettel den Weg, d, h. die Höhe,
in die er gehen muß. Früher oder später merkt er aber, daß er nicht mehr
nach diesem Startzettel navigieren kann, weil sich die meteorologischen Ver-
hältnisse inzwischen geändert haben, so daß er, wenn er nicht drahtlos neue
Meldungen bekommen kann, auf eigene Beobachtungen angewiesen ist, ‚Jede
Minute in falscher Höhe bringt ihn abseits wom Ziel. Deshalb ist dauernde
Beobachtung der Windverhältnisse unterhalb der jeweiligen Fahrhöhe — z.B. durch
Fahrrichtungsvisierung über das freie Ende des ausgehängten Hochlaßtaus, durch
Beobachtung eines Hängepiloten oder durch Auswerfen und Beobachten eines
Papierknäuels — und schnellste Höhenänderunmg des Ballons gemäß den Beob:-
achtungen nötig. Bringen die tieferen Schichten den Ballon nicht näher an das Ziel,
sondern weiter von ihm ab, so kann der Führer damit rechnen, daß er höher
steigen muß, doch ist eine Rückdrehung des Windes mit der Höhe keine Seltenheit,
was zu beachten und zu berücksichtigen ist. Eine direkte Beobachtung des Windes
oberhalb des Ballons ist mit einem Fesselpilot möglich, wenn man die Einrich-
tungen zum Hochlassen hat, Hat der Führer die bestmögliche Fahrhöhe erreicht,
so muß er konsequent diese Fahrhöhe halten, selbst wenn er längere Zeit in
Wolken ist und dabei seine Orientierung verliert. In diesem Fall muß er blind
und nur nach der Zeit navigieren, Ist sein Landungsziel z. B. noch 60 km ent-
fernt, und hat er als letzte Fahrgeschwindigkeit eine 60 km/Stundengeschwindigkeit
festgestellt, so muß er 55 Minuten blind in dieser Höhe fahren, wenn er errechnet
hat, daß er zum Niedergehen bis zur Landung 8 Minuten braucht unter der
Annahme, daß der Wind unten schwächer ist, nämlich 5 km in 8 Minuten beträgt,
Auch die Winddrehung in den unteren Schichten, die vor der Landung durch-
Iahren werden müssen, ist von vornherein bei der Bestimmung der Fahrhöhe
mit zu berücksichtigen.
Als Beispiel (1) weise ich auf den gleichzeitigen Flug von 30 Freiballonen von
Stuttgart aus hin, wo der eben beschriebene Fall vorlag’). Abb, 1a zeigt die
Verteilung der Landeplätze und Abb. 1b die mittlere Flugrichtung und -ge-
schwindigkeit. Die Führer der Ballone 15 und 29 (Abb. la), die zwar eine gün-
stige Fahrtrichtung hatten, haben das Ziel, ein Kreuz aus weißen Leinentüchern
an einer bekannt gegebenen Chausseekreuzung/, nicht zu sehen bekommen, da
sie ihre Fahrgeschwindigkeit unterschätzten und in Wolken gehüllt über das
Ziel hinwegfuhren (um 14 bzw. 36 km). Die 11 siegreichen Ballone, die eine
mittlere Fahrhöhe von über 1400 bis 1700 m hielten, landeten sämtlich inner
halb eines Sektors von 4° vom Startort, während das Landungsfeld aller Ballone
45° umfaßte, So groß war der Spielraum für die Lenkbarkeit des Freiballons.
Die Fahrt der 11 Sieger erscheint als eine gute Leistung; ihre Landeplätze
liegen innerhalb eines Kreises von nur 3 km Halbmesser, durchschnittlich 1.6 km
vom Ziel entfernt, der 1. Sieger lag 0.4 kım weit. Diejenigen Ballone, die
gleich anfangs sehr hoch gingen, brauchten während der Fahrt nicht mehr
Ballast als die anderen Ballone, weil sie wegen der größeren Geschwindigkeit
im der Höhe in kürzerer Zeit bis zum Ziel kamen. Die ersten 54 km wurden
zurückgelegt: vom Ballon Nr. 30, der die ungünstigste Richtung (Höhe) ein-
geschlagen hatte und am weitesten abseits landete, in 200 Minuten, vom Ballon
Nr. 5, der nahe am Ziel niederging, in 162 Minuten, und vom Ballon Nr. 1, der
unter meiner Führung gleich anfangs am höchsten in 1700 m fuhr, in nur
120 Minuten (Stundengeschwindigkeit 27 km); dieser landete als erster, während
) Gleichzeitiger Flug von 30 Freiballonen. Marine-Rundschau 1913, 8. 990,