Peter, Chr.: Der Rechenstab im Unterricht der Reefahrtschulen? 361
ihn verwandte Mühe und Zeit lohnt sich nicht erst in der Praxis und nicht
nur dort, sondern schon im Unterricht selbst reichlich,
Ich möchte zunächst einen Hinweis auf die höheren (Bildungs)-Schulen ein-
schalten: Der mathematische Unterricht an ihnen hat in den letzten Jahrzehnten
eine besonders betonte Ausrichtung auf Anwendung des Rechnens und der
Mathematik im praktischen Leben genommen. Namhafte Pädagogen berück-
sichtigen, daß sich dort, wo viel gerechnet wird, ein neuer „Rechenstil“ heraus-
gebildet hat, der sich weitest gehend der Rechenmaschine, des Rechenstabs und
der Tabelle bedient!)., Also wird auch der Schüler mit diesen Instrumenten
bekanntgemacht werden müssen. Hier nun, wo also schon Erfahrungen vor-
liegen?), zeigt sich, daB gerade das Stabrechnen außerordentlich dazu beiträgt,
das Verständnis beim Rechnen, Überblick, Rechengeschicklichkeit u. a. zu fördern,
Können diese Erfahrungen nicht auch für die Seefahrtschulen verwertbar sein?
Die Neuregelung der Prüfungsvorschriften und Dauer der Kurse für See-
gteuerleute und Kapitäne ist wesentlich bestimmt worden durch den Gesichts-
punkt, daß der Seefahrtschüler zum Verständnis alles dessen gelangen
soll, was er in der Praxis braucht, Dazu ist eben ein gewisses Maß mathe-
matischer Kenntnisse unerläßlich, Die Methode des Unterrichts wird sich aber
nicht allein auf die Vermittlung der Kenntnisse beschränken, sondern sollte
auch Bedacht nehmen auf den Weg, auf dem dies geschieht. Und ich meine,
daß auch uns der Rechenstab wichtige Dienste auf diesem Wege leisten kann,
Der Rechenstab ist kein mechanisierendes Hilfsmittel zum Rechnen, Wohl
J1äßt er mechanisch das einfache Multiplizieren, Dividieren, Wurzelziehen aus-
führen, d, h. aber: er gibt nur in kürzester Zeit das, was mehr oder weniger
doch schon mechanisch-schematisch gemacht wird, erspart also Zeit und Schreib-
arbeit. Dagegen muß der Rechner jetzt seine Aufmerksamkeit auf die Aufgabe
selber, z. B. die Anordnung der Rechnung, die möglichst geschickte Ausführung,
die Zahlen richten, Er lernt dabei sicherlich eine Rechenaufgabe ganz anders
betrachten, als wenn er mechanisch einige Zahlen nach schematischen Regeln
multipliziert. Es sei an einigen Beispielen gezeigt, wie der Rechenstab so das
Verständnis mathematischer Regeln und Sätze fördern kann,
Schon gleich die Erklärung seiner Konstruktion bietet ein ausgezeichnetes
Anschauungsmaterial für die Logarithmen. Ist er als grundlegendes Beispiel
einer logarithmischen Skala verstanden, so werden Tafeln, die auf solchen Skalen
aufgebaut sind, keine Schwierigkeiten mehr bereiten.
Es sei eine Aufgabe, wie sie z. B. in der Stereometrie oder im sogenannten
bürgerlichen Rechnen vorkommt, zu lösen: x = Al Geschieht dies
mit dem Rechenschieber, so sind die Ziffern des Resultats in sehr kurzer Zeit
gefunden; da aber die Kommastellung nicht mitgegeben wird, muß sie durch
einen Überschlag gefunden werden. Dieser übt das einfache Kopfrechnen, läßt
im angegebenen Beispiel immer wieder deutlich werden, wie mit Brüchen dividiert
wird und erzieht zur kritischen Betrachtung des Resultats, verhindert damit
also unmögliche Lösungen. Wieviel mehr leistet diese Art der Ausrechnung als
ein zeitraubendes Multiplizieren mit schematischem Stellenabstreichen.
Außerordentlich geeignet erweist sich der Stab bei der Auflösung von Drei-
satzaufgaben und Proportionen. Der Schüler lernt bei Benutzung des Stabs
geradezu „in Proportionen zu denken“, was bei den verschiedensten Aufgaben
von Vorteil ist, Ich nenne nur das Interpolieren. (Damit soll natürlich nicht
gesagt sein, daB einfache Interpolationen mit dem Stab ausgeführt werden sollen.)
Endlich eine Aufgabe der Trigonometrie: Aus der Hypotenuse und einem
Winkel sind die beiden Katheten eines rechtwinkligen Dreiecks zu berechnen.
Da der Rechenstab nur sin- und tang-Teilung besitzt, hat man bei Benutzung
der sin-Teilung die gegenüberliegende Kathete über dem gegebenen Winkel, die
anliegende dagegen über seinem Komplement abzulesen, Dabei wird die Tat-
sache; sin @ = cos (90 — a) dem Schüler stets von neuem vor Augen geführt.
1 A, Rohrberg, Didaktik des math, Unterrichts. Verlag Oldenbourg, 1930, — % A, Rohr-
berg, Der Rechenstab im Unterricht aller Schularten, Verlag Oldenbourg, 1929,