Becker, R.: Eine Beziehung zwischen jährl, Schneehöhe usw. des Grönländ, Inlandeises, 251
ein ansteigendes Gelände an, das eine horizontale Stufe enthält, so können nach
jener Annahme beiderseits Schneemassen aus dem horizontalen Stück auswandern,
einwandern dagegen können sie nur von der höheren Seite, Es entsteht also
auf dem horizontalen Teil ein Manko.
Eine weitere Stütze der Anschauung über die ursächliche Verknüpfung
zwischen Schneehöheverteilung einerseits und Windverteilung relativ zum Gelände
andererseits liefert die Untersuchung der Erscheinung, welche die Kurve der von
Koch und Wegener gemessenen Schneehöhen bei 50° Länge zeigt. Etwa an
dieser Stelle hört, wie oben bereits erwähnt, der inverse Gang von beobachteter
und berechneter Kurve auf, und die beiden Linienzüge verlaufen weiter nach
Westen im Prinzip wieder in demselben Sinne. Eine Erklärung hierfür ergibt
sich, wenn man die genaue Verteilung der Winde betrachtet, wie sie in dem
Expeditionsbericht von Koch und Wegener mitgeteilt werden?). Unter Aus-
scheidung der sehr leicht erkennbaren „gestörten“ Zeiten hat Wegener die
Windbeobachtungen der Durchquerungsreise in Gruppen eingeteilt, und zwar so,
daß Windsysteme, die nach Richtung und Stärke als zusammengehörig zu be-
trachten sind, vektoriell gemittelt werden. Der Überquerungsweg wird so in eine
Anzahl Abschnitte zerlegt, denen physikalisch und rechnerisch eine bestimmte
Windrichtung und Stärke zugeordnet werden kann. Die Anwendung dieser Wind-
werte ist natürlich sehr gewagt, da sie nur auf sehr wenig Beobachtungen beruhen,
Es ist aber zu bedenken, daß sie bei der hohen Beständigkeit des Windes doch
schon ev. als Mittelwerte gebraucht werden können. Tut man dies nun, so zeigt
sich zwischen den beiden Gruppen, die man als der Länge von 50° etwa benach-
bart betrachten kann, ein sehr bemerkenswerter Unterschied: Die absoluten Werte
beider Vektoren sind einander gleich; der westliche ist gegen den östlichen aber
etwas nach links gedreht, hat also eine Komponente bergabwärts. Aus den An-
gaben Wegeners ergibt sich, daß diese Komponente etwa 1.9 m/sek beträgt, bei
einer Windgeschwindigkeit von 6 m/sek, Mit dem Vorhandensein einer solchen
Komponente sind aber die der Geländeformel zugrunde liegenden Voraussetzungen
wieder gegeben. Tatsächlich zeigt sich ja auch, daß ab 50° Länge nach Westen
hin beobachtete und berechnete Schneehöhenkurven prinzipiell im gleichen Sinne
verlaufen. — Der analoge Übergang von inversem zu konformem Gang der beiden
Kurven bei etwa 46.5° kann leider mangels genügender UÜbersichtlichkeit der
Windverhältnisse nicht in der vorstehenden Art untersucht werden.
Von Interesse ist noch die Frage, von welcher Seehöhe ab, wenn man von
der Küste auf das Inlandeis heraufsteigt, die Geländeformel anfängt in Kraft zu
treten. Beginnt man mit der Expedition von De Quervain, welche die klarsten
Verhältnisse zeigte, so ergibt sich, daß dies im Westen bei 1800 m und im Osten
bei 2080 m der Fall ist, also im Osten und im Westen etwa in der gleichen Höhe,
was bei der aus Fig, 2a ersichtlichen Asymmetrie des Geländeprofils nicht selbst-
verständlich ist. Bei der Expedition von Koch und Wegener läßt sich diese
Stelle nicht genau angeben, sie ist aber im Westen bei 2310 m und im Osten bei
1710 m anscheinend bereits erreicht,
Es sei nun hier zum Schluß nochmals ausdrücklich hervorgehoben, daß das
Beobachtungsmaterial, auf das sich die vorliegenden Betrachtungen stützen, dürftig
und unsicher ist. Es könnte deshalb bisweilen der Eindruck entstehen, daß die
Interpretation der Kurvenzüge überspitzt worden ist. Sie wird aber durchaus
durch den Erfolg gerechtfertigt. Die Übereinstimmung zwischen Theorie und
Beobachtung erscheint nirgends ernstlich gefährdet. Dies wäre aber ein unwahr-
scheinlicher Fall, wenn es sich nicht um eine physikalisch begründete Gesetz-
mäßigkeit, sondern um ein Spiel des Zufalls handeln würde,
) Koch-Wegener [siehe *)l, Abteilung II, S, 569 uw, folg.