144 Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, Mai/Juni 1933,
den Wind unten festzustellen und ließ den Ballon vom Führeraspiranten weiter
in dieser Höhe halten, bis kurz vor der Königsberg—Cranzer Eisenbahnlinie die
Landung schnell vollzogen wurde, 10 km mördlich von Königsberg in Neuhof
bei Trutenau auf einer Wiese um 14,52 Uhr, Mit dem vorhandenen Ballast hätten
wir noch weit nach Littauen und Polen hineinfahren können.
Wir hatten 709 km in 17 Stunden 35 Minuten mit einer Durchschnitts-
geschwindigkeit von 40,3 km in der Stunde zurückgelegt. Davon waren wir
5 km über Holstein, 30 km über Laaland, 9 km über Falster, 13 km über See-
Jand, 2 km über Möen und 42 km über Ostpreußen, also im ganzen 101 km
über Land und 608 km über See gefahren,
Il. Der Hängepilot.
Um im Freiballon Aufschluß über Windrichtung und -stärke unterhalb des
Ballons zu gewinnen, wirft man einen leichten, möglichst weit sichtbaren Gegen-
stand, meist zerknülltes Zeitungspapier, wovon man sich zu diesem Zweck einige
Kilogramm mitnimmt, aus dem Korb und verfolgt das fallende Papier mit dem
Auge, Dabei stellt man fest, wohin und wie schnell das Papierknäuel abgetrieben
wird. Wenn man Glück hat und nicht zu hoch ist, kann mam diesen „Pilot
nach unten“ verfolgen, bis er auf den Boden niedergefallen ist.
Neben dieser für jeden Ballonführer unentbehrlichen einfachen Methode be-
nutzte ich auf der Ostseefahrt eine zweite, die eine kleine Abänderung des
„Gericke-Faden“ darstellt. Gericke hing einen langen Faden aus dem Korb
und beobachtete die Bewegungen dieses Fadens, der von manchen Führern noch
mit Fähnchen versehen wird, die im Abstand von etwa 10 m am Faden ange-
bracht sindl). Ich beschränkte mich bei meiner Abart darauf, festzustellen,
genauer als mit Gericke-Faden oder Papierschlange, wie die Abweichung des
Windes in Ballonhöhe vom Wind in einer bestimmten Tiefe, z.B. 100 m
unterhalb des Ballons war, Nach diesen Beobachtungsergebnissen traf ich
meine Maßnahmen, höher oder tiefer zu gehen,
Kaum graute über der Ostsee der Morgen, so wurde ein kleiner, etwa 35 g
schwerer Pilotballon aus dünner Gummimembran aufgepustet, möglichst
groß, auf etwa 73 cm Durchmesser oder !/g cbm Inhalt, dann zugebunden und
an einem sehr dünnen Faden vom Korb aus heruntergelassen, so daß der Pilot
100 m unter dem großen Ballon bzw. 85 m unter dem Korb hing.
Solch ein Pilot kann als ein sichtbar gemachtes Luftteilchen der
Atmosphäre betrachtet werden, das nur wenig schwerer ist als die umgebende
Luft, jedoch am freien Fall durch den Faden verhindert ist. Sein spezifisches
Gewicht zur Umgebung, zur Luft, beträgt, roh gerechnet und von Temperatur
usw. abgesehen, bei einem 35 g schweren Gummiballon, der auf 1/, cbm auf-
geblasen ist und 4%, Innenüberdruck hat
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bei sehr großem Stirnwiderstand.
Bei gleicher Windrichtung und -geschwindigkeit in beiden Ballonhöhen hing
der Pilotbalion vom Korb aus senkrecht nach unten. Doch schon bei der aller-
geringsten Windabweichung — nach Richtung oder Geschwindigkeit — zwischen
beiden Höhen schlug der Pilotballon nach einer Seite, nach vorn oder hinten,
bzw, nach den Zwischenrichtungen aus, Dieser Ausschlag gab ein relatives Maß
für den Windunterschied zweier Höhenschichten, in unserem Fall z. B. von 100 m
Abstand, Man kann auf diese Weise jede beliebige Schicht unter dem Ballon
auspilotieren,
Denkt man sich — gewichtslos — im unteren Ballon beobachtend, so würde
man den oberen Ballon entsprechend nach der entgegengesetzten Richtung und
in gleicher Stärke abweichen sehen und so nach oben die Windabweichung fest-
stellen. Beide Ballone schweben relativ gegeneinander, keiner ist hierin bevorzugt.
1) Der „Gericke-Faden“ ist beschrieben in der Zischr. Luftfahrt 1924, 5. 68—69, wo es von
den yahnehin kritisch heißt: „daß aus dem lustigen Tanz der Fähnchen überwiegend falsche Schlüsse
gezogen werden‘,