Perlewitz, P.: Wissenschaftliche Beobachtungen auf einer Freiballonfahrt über die Ostsee. 141
die den Kampf der Strömungen innerhalb der Front an dem willenlos ge-
triebenen Ballon deutlich zeigt.
In M denkt man sich die zum westlichen System gehörige Strömung @ aus
SW (Neigung 45°) in die Komponenten & (15°) und c (75°) zerlegt; der Ballon
durchmißt erst b 4 Minuten lang und dann d (=c). In O bleibt er zunächst
in dieser neuen, schon zum östlichen System gehörenden Strömung d, doch ist
die Front noch nicht durchstoßen, sie liegt noch im Kampfe mit der Südwest-
strömung a, die den Ballon in P erwartet, und zwar mit ihren Komponenten e und f,
Der Ballon muß erst € durchmessen und kommt dann in die Komponente g (== /),
die sich nun als die endgültige und von da ab stationäre Hauptströmung im
jenseitigen Strömungsfeld erweist.
Die folgende gleichmäßige WzS-Strömung in den unteren Luftschichten
zeigte uns, daß wir ganz im Einflußbereich des Östseetiefs waren. Von diesem
wußten wir aus den Wetterkarten, daß es mit seinem Ausläufer nach Polen
schon mehrere Tage die Lage beherrschte und frische westliche Winde über die
ganze südliche Ostsee bis Livland gebracht hatte. Z. B. hatte Arkona als letzte
vor dem Start uns bekannt gewordene Abendmeldung von 19 Uhr W 6 beob-
achtet. Bornholm und Christiansö hatten W 4 und W 5, was uns jedoch nicht
bekannt war. Auch unsere eigenen Beobachtungen während der ersten Fahrt-
stunden zeigten, daß sich an dieser Gesamtwetterlage nichts Wesentliches geändert
haben konnte, zumal die Winde unten keine merkliche Abnahme erkennen ließen.
In der Höhe konnten wir aber so gut wie sicher mit mindestens ebenso frischem
Wind und infolge der Rechtsdrehung mit mehr westlicher bis nordwestlicher
Strömung rechnen.
Vor allem war uns aus alldem schon bald nach Mitternacht klar, daß wir keine
Windflaute fürchten, also deshalb nicht auf den dänischen Inseln landen brauchten,
Das zweite meteorologische Gefahrmoment, Gewittereintritt, schien nach
der Wetterlage und dem ausgedehnten gleichmäßig kräftigen Strömungsfeld ebenfalls
so gut wie ausgeschlossen und kam daher für Landungszwang nicht in Betracht,
Es kam hinzu, daß wir in der Nacht bisher nur 4 Sack Ballast verbraucht
und noch einen Vorrat von fast 19 Sack hatten. Für die nächsten 10 Stunden
war mit wenig Ballastverbrauch zu rechnen, da uns am Vormittag die Sonne
heben und der frische Wind ost- bis ostsüdostwärts in berechenbarer, verhältnis-
mäßig kurzer Zeit auf Festland führen mußte,
Nach Mitternacht verließen wir Laaland, südlich von Lindholm, und
steuerten an der Südostspitze der kleinen Insel Askö vorüber, gerade auf das
Feuer von Vigsö zu, das wir 0.35 Uhr in 330 m Höhe unter uns hatten, Die
Temperatur betrug 12,8°, Über der kleinen Insel Akrö (0.15 Uhr) hörten wir
lautes Möwengeschrei.
Seit Dovnsklint, Luftlinie 62 km, über Grund 66 km, war die Fahrgeschwin-
digkeit 36 km/Std (38 km über Grund) gewesen, hatte also gegen vorher etwas
zugenommen. Von 0.45 bis 0.55 Uhr hatten wir die Insel Falster, von 1.08
bis 1.28 Uhr die Südspitze von Seeland und von 1.39 bis 1.41 Uhr die Nord-
westecke des mit Buchen bewaldeten Kreidesockels Möen und damit eine Strecke
von weiteren 45 km überflogen, Die Geschwindigkeit war auf 40 km/Std ge-
stiegen. Wir schätzten um diese Zeit, daß wir am Nachmittag die Ostküste der
Ostsee erreichen würden; hielten wir uns tief, so mußten wir zwischen 16 und
18 Uhr an der Küste etwa bei Memel-Libau sein, fuhren wir hoch, so konnten
wir Ostpreußen oder gar Ost-Pommern, und zwar schon erheblich eher erreichen,
Bei Windflaute, die aber nach der Luftdrucklage ausgeschlossen schien, oder
bei späterer Fahrtänderung nach Nordost, als ungünstigster Richtung, die
meteorologisch unwahrscheinlich war, hätten wir bei vorsichtigem Verbrauch
des vorhandenen Ballasts noch die zweite Nacht im Ballon zubringen können, Wir
entschlossen uns also hier endgültig, die freie Fahrt auch über den breiteren
östlichen Teil der Ostsee anzutreten.
Noch eine Möglichkeit stand uns während der Weiterfahrt offen, nämlich,
auf Bornholm zu landen: Eine Zielfahrt nach dieser Insel wäre auch vom
meteorologischen Gesichtspunkte aus sehr reizvoll gewesen: Bei der gegebenen
Wetterlage und Fahrrichtung war dies möglich, Wir entschlossen uns jedoch,
Ann. d. Hydr. usw. 1033, Heft V/VL
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