Die Küste, 75 MUSTOK (2009), 71-130
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Eine mögliche und hier vertretene Ansicht ist, dass Verlauf, insbesondere die Drehung
des Windfeldes (Krüger, 1910) und Ausdehnung des Orkans, 1872 eine sowohl für die
Mecklenburger Bucht als auch für die Kieler Bucht extreme Situation geschaffen haben.
Diese Ansicht wurde insbesondere von Colding (1881) vertreten. Andere Autoren betonen
ganz allgemein die Bedeutung des Zusammenwirkens von Winden über verschiedenen Teilen
der Ostsee für die Entstehung extremer Sturmhochwasser (Stigge, 1995; Säger u. Miehlke,
1956, für die Mecklenburger Bucht; Enderle, 1989, für die westliche Ostsee). Als unterstüt
zend wird von mehreren Autoren der behinderte Abfluss durch Belte und Sund in das Kat
tegat angegeben (Pralle, 1875; Eiben, 1992). Die im Projekt auf momentane Wetterlagen
ausgerichteten Auswahlkriterien haben eine solche zeitliche Variation möglicherweise nicht
optimal erfasst, trotzdem gibt es auch eine Realisation (2005_45) mit sehr ähnlichem Wetter
verlauf wie 1872. Meistens sind jedoch in den extremen Realisationen nur Einzelaspekte des
Wettergeschehens von 1872 erfasst.
Eine andere mögliche Ansicht macht zusätzliche Ursachen, wie einen erhöhten Fül
lungsgrad der Ostsee und den ganzen Wasserkörper der Ostsee erfassende Eigenschwingun
gen für die herausragenden Wasserstände verantwortlich (Baensch, 1875; Anonymus, 1882;
WEISS u. Biermann, 2005; Fennel u. Seifert, 2008). Daher werden am Beginn der Kapitel
4.1 und 4.3 diese Phänomene in ihrer Bedeutung für die Ostsee kurz diskutiert. Zusätzlich
wurde zusammen mit dem DWD erstmals das Sturmhochwasser 1872 meteorologisch und
ozeanographisch rekonstruiert (Rosenhagen u. Bork, 2009). So konnte das numerische
Modellsystem des BSH genutzt werden, um einzelne Prozesse isoliert zu betrachten. Diese
numerischen Experimente stützen die Aussage, dass 1872 allein der Orkan am 13.11. für das
extreme Sturmhochwasser verantwortlich war, bei dem wie schon beim Sturm am 12.11.
(Baensch, 1872) sehr schnell ein nahezu stationärer Zustand erreicht wurde. Ein erhöhter
Füllungsgrad der Ostsee vor einem Sturm hatte wenig bis keinen Einfluss auf den Scheitel
wasserstand. Lokale Eigenschwingungen treten zwar während der Vorgeschichte des Sturm
hochwassers auf, hatten aber keinen erkennbaren Einfluss auf das Geschehen am 12.11. und
13.11.1872.
Der Einfluss von Schwingungen des gesamten Ostseekörpers wurde anhand eines simu
lierten extremen Sturmhochwassers mit sehr hohem Wasserstand in St. Petersburg im Vorfeld
eines Sturmhochwassers in der Mecklenburger und Kieler Bucht untersucht (Dezember
1971). Dieses Sturmhochwasser wurde durch ein für Schwingungen günstig ziehendes, aus
Nordost kommendes Tief erzeugt. Auch hier lieferte eine Eigenschwingung keinen Beitrag
zum Sturmhochwasser in der westlichen Ostsee.
7. Danksagung
Die Arbeiten wurden von Mitarbeitern des BSH und anderer Institutionen ergänzt und
unterstützt. Wir danken insbesondere Herrn Warnecke (BSH) für die Erstehung digitaler
Anfangsverteilungen der Eisbedeckung, Herrn Janssen für die statistische Bearbeitung der
Modelldaten von 2002, Frau Schmelzer (BSH) für die Bereitstellung von Eisdaten, Frau Per
let (BSH), Herrn Nöthel (WSA Lübeck) und Herrn Hammarklint (SMHI) für die Bereitstel
lung von Wasserstandsdaten und Frau von Gyldenfeldt (BSH) für die Zusammenstellung von
maximalen Wasserständen und Winddaten.