Die Küste, 75 MUSTOK (2009), 51-70
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1. Einführung
Am 13. November 1872 ereignete sich im Bereich der deutschen und dänischen Ostsee
küste ein extremes, folgenreiches Sturmhochwasser. Die Wasserstände überstiegen dabei
deutlich sämtliche seinerzeit bekannten Werte, und seitdem sind auch keine vergleichbaren
Sturmhochwasser in diesem Bereich aufgetreten. In Abb. 1 sind beispielhaft die höchsten
Wasserstände des Pegels Travemünde zwischen 1826 und 2006 dargestellt. Wegen der Außer
gewöhnlichkeit dieses Ereignisses besteht insbesondere in Zusammenhang mit der möglichst
sicheren Bemessung von Küstenschutzanlagen großes Interesse an einer Rekonstruktion
dieser besonderen Wettersituation. Dies heute umso mehr, da im Rahmen der Klimawandel-
problematik die Häufung von Wetterextremen und damit auch von Sturmhochwassern leb
haft diskutiert wird.
1826 1846 1866 1886 1906 1926 1946 1966 1986 2006
hydrologisches Jahr
Abb. 1: Höchstwasserstände des Pegels Travemünde zwischen 1826 und 2006, nach JENSEN u. TöPPE,
(1986) und Wasser- und Schifffahrtsamt Lübeck
2. Folgen des Sturmhochwassers am 13. November 1872
Die Ostsee gilt im Vergleich zur Nordsee allgemein als weniger bedroht durch Sturm
flut- bzw. Sturmhochwasserereignisse. So traf es nach einem nicht ungewöhnlichen Sturm
hochwasser am 12.11. die Küstenbewohner auch völlig unvorbereitet, als am frühen Mor
gen des 13. November 1872 im Bereich der deutschen und dänischen Ostseeküste ein
Nordostorkan eine in jener Gegend nie dagewesene Hochwasserkatastrophe auslöste
(Abb. 4). Mindestens 271 Menschen verloren ihr Leben, mehr als 15 000 wurden obdachlos,
zehntausende Stück Vieh ertranken, Schiffe kenterten (Abb. 2), und es gab großflächige
Landverluste (Kieksee, 1872; Petersen und Rohde, 1977). Vielerorts zeugen noch heute
in den Küstenorten Hochwassermarken von dem ungewöhnlichen Ausmaß des Ereignisses
(Abb. 3).