Ämundsen, R.: Zur Erforschung des Nordpolarbeckens,
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Ehe ich die Besprechung der Probleme abschließe, welche sich zur Lösung
im Polarmeer für eine Expedition darbieten, die mit den besten wissenschaft-
lichen Hilfsmitteln der Gegenwart ausgerüstet ist, will ich noch einige wichtige
Punkte erwähnen. Es ist Ihnen allen bekannt, daß das Meer verschiedene
Mengen aufgelöster Gasarten enthält. Ein Studium dieser aufgelösten Casarten
im Meerwasser gibt viel Arbeitsstoff, aber ich werde mich hier nur auf eine
ainzelne Sache beschränken. Bekanntlich gebrauchen alle Tiere Sauerstoff, um
jehben zu können; beim Atmen wird der Sauerstoff verbraucht und Kohlensäure
ausgeschieden. Das gleiche ist der Fall mit den Pflanzen im Dunkeln; im Licht
dagegen entgegengesetzt, dort verbrauchen die Pflanzen Kohlensäure und
produzieren Sauerstoff. In bezug auf das Meerwasser sind verschiedene inter-
essante Beobachtungen über die Wechselwirkung zwischen Tieren und Pflanzen,
zwischen Hell und Dunkel gemacht worden. Das Polarmeer bietet für ein
Studium dieser Fragen sehr günstige Bedingungen — der Sommer ein langer
heller Tag und der Winter eine gleich lange dunkle Nacht. Es würde äußerst
interessant sein, diese Wechselwirkung unter so charakteristischen Verhältnissen
zu studieren, Als Hilfsmittel für diese Studien hat man jetzt Apparate, mit
denen die Lichtstärke in den verschiedenen Tiefen des Wassers unter dem Eise
sowohl als im offenen Fahrwasser gemessen werden kann, Und die Menge der
kleinen Pflanzen und Tiere, die sich im Meer befinden, kann gemessen werden.
Damit kann eine der wichtigsten Fragen der Physiologie des Meeres und der
Kreislauf der Organismen eingehend studiert werden,
Außer den hier besprochenen ozeanographischen Aufgaben, deren Lösung
meine in Aussicht genommene Expedition sich als Hauptzwecke stellen wird,
gibt es noch eine Menge anderer Fragen von fast ebenso großer Wichtigkeit,
In enger Verbindung mit den ozeanographischen Beobachtungen stehen die
meteorologischen. Allerdings fand während Nansens Trift mit der »Fram«
ein eingehendes Studium der meteorologischen Erscheinungen statt; aber dies
hindert nicht, daß eine neue Reihe von großer Bedeutung sein wird, Ich meine
picht, daß ich neuen merkwürdigen, bis jetzt ungekannten Erscheinungen be-
gegnen werde, dazu sind die meteorologischen Verhältnisse über dem Polarbecken
wahrscheinlich zu gleichartig; aber schon zur Kontrolle und Vergleichung mit
den früher gemachten werden sie yon großem Interesse sein, Ich beabsichtige
daher, eine vollständige meteorologische Ausrüstung von den neuesten Instrumenten
mitzunehmen. Von geringerer Bedeutung, aber doch von Interesse, werden
die Untersuchungen der erdmagnetischen Verhältnisse sein — von ge-
ringerer Bedeutung, weil das bewegliche Treibeis nur eine schlechte Grundlage
für Beobachtungen bietet, welche einen so hohen Grad von Genauigkeit erfordern
wie die magnetischen, aber doch von Interesse, als eine Ergänzung der auf der
ersten »Fram«-Expedition von Kapitän S, Hansen ausgeführten magnetischen
Beobachtungen.
in Verbindung mit den magnetischen werden die Nordlichtbeobachtungen
großes Interesse haben, Wir kennen ja alle die prachtvollen Nordlichter dort
oben in der tiefen düsteren Polarnacht aus Nansens vorzüglicher Beschrei-
bung — wir kennen sie alle, diese seltsamen, flammenden, jagenden Bewegungen
über das Himmelsgewölbe hin in einer stillen Winternacht — wir kennen sie alle
so gut und haben dieses rätselhafte Schauspiel so häufig bewundert. Es zweifelt
wohl niemand daran, daß hier eine merkwürdige Kraft als Ursache vorhanden
sein muß, eine Kraft, die uns Menschen nicht Ruhe läßt, ehe wir sie gefunden,
gebunden und uns zunutze gemacht haben,
Und die Polargegenden sind gerade der rechte Ort für das Studium dieser
Erscheinungen, die hier häufiger und prachtvoller vorkommen als an irgend
einer anderen Stelle, Bekanntlich haben die Professoren Birkeland und
Störmer außerordentlich wichtige Untersuchungen auf diesem Gebiet vor-
genommen, welche eine Lösung dieser schwierigen Probleme zu versprechen
scheinen, aber durch Untersuchungen, welche eine so lange Zeit hindurch fort-
gesetzt werden, dürften sicher wertvolle Beiträge zum Studium derselben er-
reicht werden.