Amundsen, R.! Zur Erforschung des Nordpolarbeckens,
die nicht Kenntnis neuer Länder brachte, sondern nur neuer Meere, schien man
als negatir anzusehen, Es ist Jeicht erklärklich, daß dies bei den früheren
Expeditionen der Fall war, Die Hoffnung auf Gewinn und Macht war die Trieb-
kraft und diese konnte selbstredend nur auf dem festen Lande befriedigt werden.
Die Bedeutung des großen Meeres erkannte niemand, So gelang es, den größten
Teil des Landgebietes in verhältnismäßig kurzer Zeit zu erforschen und bekannt
zu machen, Aber mit dem Fortschreiten der Kultur entstand auch der Gedanke
an die Erforschung des Meeres, als eine vielleicht ebenso große Notwendigkeit
als die des Landes, Insbesondere steigerte sich das Interesse für die unbekannten
Tiefen des Meeres, als man das Telegraphenkabel über den Atlantischen Ozean
legen sollte. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts sind bedeutende Expeditionen
dieser Art von fast allen seefahrenden Nationen ausgesandt worden. .
Wie ich vorhin erwähnte, war die »Fram«-Expedition in verschiedenen
Beziehungen von außerordentlicher Bedeutung, Wenn es indessen Nansen nicht
vyelang, alle Rätsel, die das Polarbecken bietet, vollständig zu lösen, #0 liegt die
Ursache in den mangelhaften ozeanographischen Methoden der damaligen Zeit.
Nach den Fortschritten, welche die Methodik später gemacht hat, wird dies sich
anders gestalten. Eine Expedition mit einer Ausrüstung der jetzigen Zeit wird
in das Polarbecken eindringen können mit der Aussicht, vieles von dem aufzu-
klären, was noch unverständlich für uns ist.
Im Folgenden werde ich versuchen darzulegen, welche Probleme für eine
derartige Expedition vorliegen werden, ihre Bedeutung und die Weise ihrer Lösung,
Als Nansen im Jahre 1893 hinausreiste, nahm er — wie er selbst sagt —
an, ein verhältnismäßig seichtes Polarmeer zu finden und war daher nicht mit
Lotmaterial für größere Tiefen ausgerüstet, Es zeigte sich indessen, daß diese
seine Annahme nicht zutraf, Anstatt des seichten Polarmeeres fand er ein Meer
mit einer Tiefe bis zu 4000 m. Unter diesen Verhältnissen wurde das Loten
eine sehr schwierige Sache, Welche Anstrengungen die Teilnehmer der »Fram«-
Expedition machten, um sich die Lotleinen für diese großen ungeahnten Tiefen
zu verschaffen, wird uns allen noch erinnerlich sein; sie brachten es fertig und
konnten eine Anzahl sehr wichtiger Lotfungen vornehmen, die uns zeigten, daß
hier noch Arbeit genug vorliegt. Aber mit ihren primitiven Geräten konnten
sie den Forderungen nicht vollständig genügen, welche die moderne Meeres-
forschung‘ stellt, Auch war die eine Linie, über welche »Frame trieb, nicht
genügend, um die Gestaltung des ganzen Meeres festzustellen. Mit Sicherheit
wissen wir daher noch nichts über die Größe, die Form und die größten Tiefen
dieses tiefen Beckens, Die Methoden der Lotung im tiefen Meere sind jetzt sehr
gut. Mit Hilfe von Pianosaiten und einer Winde mit Auswechslung kann man
nämlich in ganz kurzer Zeit Lotungen bedeutender Tiefen vornehmen, wo z.B.
die »Fram«-Leute tagelang mit großer Mühe daran arbeiten müßten.
Tafel 4 gibt eine Grundkarte des Polarmeeres und der angrenzenden
Meeresgebiete nach Fridtjof Nansen.*‘) Bezüglich des Polarmeeres selbst sind
die einzigen Teile, für die die Tiefen sicher festgestellt sind, diejenigen, welche
längs des Kurses der »Fram« liegen, Alles andere sind Mutmaßungen. Der
tiefe Teil des Beckens wird in gleicher Weise wie im Norwegischen Meer von
verhältnismäßig steilen Bodenerhöhungen begrenzt. Zwischen diesen und dem
Lande sind flache Bankpartien von wechselnder Breite,
Auffallend ist der große koöntinentale Sockel nördlich von Sibirien, wo
diese seichten Partien eine bedeutend größere Ausdehnung haben ‚als an den
meisten anderen Stellen der Erde, Den kontinentalen Sockel nördlich von Amerika
kennt man noch nicht,
Nansen hat nach seinen Untersuchungen mit »Fram« angenommen, daß
zwischen Nordost-Grönland und Spitzbergen ein Rücken vorhanden ist, welcher
die tiefen Teile des Norwegischen Meeres von denen des Polarmeeres trennt.
Der Anfang dieses Rückens auf der Seite bei Spitzbergen ist durch Lotungen
nachgewiesen worden, und die von der »Dänemark«-Expedition gemachte Ent-
4} Geographical Journal 1907, Vol 30,