Meinardus: Zur Kenntnifs der täglichen und jährlichen Periode der Gewitter. 509
lie Verschiedenheiten zwischen beiden Erscheinungen, die wir betonten, scheint
doch der Weg zu diesem Schluß versperrt zu sein. Kurz zusammengefalst, sind
die Thatsachen, die man beobachtet, folgende: Die atmosphärischen Verhältnisse
sind: einerseits vor, andererseits nach dem Gewitterphänomen in beiden Gegenden
gleichartig disponirt; aber das Phänomen tritt in dem einen Fall als ein ein-
faches Gewitter, und zwar als ein „Wärmegewitter“ am häufigsten nachmittags,
im anderen Fall als eine Reihe von Gewittern auf, die gröfstentheils um Mitter-
nacht zum Ausbruch kommen. Diese Thatsachen berechtigen zu dem Schluß,
dafs Zwar in beiden Gegenden ein und dieselbe Ursache die Bedingung für das
Phänomen überhaupt abgiebt, dafs aber aufserdem noch sekundäre Ursachen
‚hätig sind, die: jene primäre Ursache zu gewissen Tageszeiten unterstützen, zu
anderen schwächen. Diese Nebenursachen bestimmen die Stunde, in welcher das
Phänomen eintreten soll. Die Verschiedenheit der täglichen Periode der Gewitter
beider Gegenden deutet auf eine Verschiedenheit der Nebenursachen hin, Dafs
bei uns im Sommer die Gewitter des Nachmittags am häufigsten ausbrechen, wird
auf. die Insolation mit ihrem ausgeprägten Nachmittagsmazimum zurückgeführt.
Aber die Insolation des Gewittertages ist nur die zeitbestimmende Nebenursache,
die Hauptursache ist die für Gewitterbildung charakteristische allgemeine Wetter-
lage, welche vorhanden sein mufs, wenn die Nebenursache sich wirksam erweisen
soll. Diese Wetterlage ist durch eine ziemlich gleichförmige Luftdruckvertheilung,
hohe Temperatur, geringe relative Feuchtigkeit und Bewölkung ausgezeichnet.
Welche Nebenursache bewirkt nun die Auslösung‘ der durch dieselbe Wetterlage
geschaffenen Gewitterdisposition in der Bai hauptsächlich zur Nachtzeit? Die
Wetterlage ist dort dieselbe wie die eben geschilderte.
Wir: sind schon vorher zu einem Resultat über die tägliche Periode der
Gewitter in der Bai von Bengalen und im Nordwesten von Schottland gekommen,
wir fanden, dals in beiden Gebieten ein und dieselbe Ursache die Gestalt der
täglichen Gewitterperiode bestimmt; im Anschluß an die letzten Auseinander-
setzungen müssen wir jetzt sagen: ein und dieselbe Nebenursache, um so mehr,
da die die Gewitterneigung schaffende Hauptursache in der Bai und vor Schott-
land sehr verschieden ist. Dort herrscht die oben geschilderte Wetterlage,
Stagnation sehr warmer Luft in: nahezu labilem Gleichgewichtszustand; ganz
anders ist die Wetterlage, die in Schottland und an den nordwesteuropäischen
Küsten überhaupt Gewitterdisposition schafft. Sie ist charakterisirt durch eine
aufserordentlich stark differentiirte, cyklonale Luftdruckvertheilung, daher starke
horizontale und vertikale Luftbewegung, relativ hohe Temperatur, grofse Feuchtig-
keit “und Bewölkung. Weil diese Wetterlage im Winter häufiger ist als im
Sommer,. zeigt die jährliche Periode der Gewitter in diesen Gebieten ein winter-
liches Maximum.
Welche Nebenursache ist nun wirksam, die bei dieser und jener Wetter-
lage den Ausbruch der Gewitter auf die Nachtzeit zu verlegen sucht? Die Inso-
lation: kann es offenbar nicht sein; sie hat ein Maximum um Mittag, aufserdem
ist ihre Wirkung auf die Temperatur der Luft über dem Meere wegen der ther-
mischen Trägheit des Wassers sehr klein, zumal wenn die Bewölkung grofs ist.
Die tägliche Schwankung der anderen Elemente kann noch weniger zur Erklä-
rung herangezogen werden. Grofsmann scheint der Krste gewesen zu sein, der
das thermische Verhalten der oberen Wolkenflächen für die in Rede stehende
Erscheinung in Anspruch genommen hat. Wegen des höheren Strahlungskoeffi-
cienten wird hier der Einfluß der Insolation und Ausstrahlung, also die tägliche
Temperatur-Amplitude bedeutender als an der darunter liegenden beschatteten
Meeresoberfläche, der vertikale Temperaturgradient zwischen Meeres- und Wolken-
Aäche hat ein mittägliches Minimum, ein mitternächtliches Maximum. Dies Ver-
halten wird im Allgemeinen für den Zeitpunkt des Gewitterausbruches ent-
scheidend werden, falls durch die Wetterlage eine Gewitterneigung geschaffen
ist. Bei der einen für Gewitter günstigen Wetterlage wird die Wahrscheinlich-
keit. der Verstärkung und Auslösung eines labilen Gleichgewichts der Atmosphäre,
bei der anderen die Wahrscheinlichkeit der Verstärkung der aufsteigenden Luft-
bewegung in der Cyklone um Mitternacht am größten. Durch diese Annahme
dürfte die grofse Aehnlichkeit der täglichen Gewitterperiode in der Bai von
Bengalen und im Nordwesten von Schottland ihre einfachste Erklärung finden;
ine Wolkendecke über einem- hoch temperirten Meere scheint das einzige gleich-