320 Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, August 1895.
worauf meines Wissens zuerst W, Morris Davis hingewiesen hat.') — Drittens,
durch Verzögerung in der Veränderung des Aggregatzustandes. Solche Ver-
zögerungen können entstehen: entweder durch Uebersättigung der Luft mit
Wasserdampf oder durch Ueberkaltung des in Wolkenform in der Luft suspen-
dirten Wassers, ein Punkt, den ich im vorigen Jahre ausführlich beleuchtet
habe. Von diesen drei Ursachen des labilen Gleichgewichts dürften die erste
und die letzte bei den Wärmegewittern die Hauptrolle epielen. Ueberhitzung
der untersten Luftschicht mufs eintreten, wenn der feste Erdboden bei ruhiger
Luft einer kräftigen Insolation ausgesetzt ist. Bekanntlich sind dies auch die
Bedingungen, unter denen man die meisten Wärmegewitter beobachtet. Ueber
dem Meere wird labiles Gleichgewicht auf diesem Wege nicht leicht zu Stande
kommen, da einerseits die im Allgemeinen daselbst herrschende starke Lmft-
bewegung hinderlich in den Weg tritt, während andererseits die Verdunstung
sowie die Beweglichkeit des Wassers eine sehr starke Erwärmung der obersten
Wasserschicht unmöglich machen, Nur in der Kalmenregion fällt der erste
Hinderungsgrund weg, und thatsächlich tragen auch die dort sehr häufigen
Gewitter den Charakter der Wärmegewitter an sich, wie sich schon in der
täglichen Periode zu erkennen giebt.
Die zweite Art labilen Gleichgewichtes, nämlich die aufsergewöhnliche
Abkühlung höherer Schichten, setzt Bedingungen voraus, die in der Natur nicht
so leicht erfüllt sein werden wie jene, welche eine Ueberhitzung der untersten
Luftschicht im Gefolge haben. Durch Hereinbrechen kalter Luftmassen in
höhere Schichten kann nämlich wohl eine Gleichgewichtsstörung entstehen, aber
kein labiles Gleichgewicht, da das letztere immer ruhige Luft voraussetzt. Die
Entstehung dieser Art labilen Gleichgewichtes ist demnach nur möglich, wenn
sich höhere Schichten durch Ausstrahlung gegen den Weltraum unter jene
Temperatur abkühlen, wie sie dem Kkonvektiven Gleichgewicht entspricht. Sie
kann demnach nur im Winter oder in der Nacht vorkommen und setzt überdies
das Vorhandensein einer Wolkendecke voraus, deren obere Begrenzungsfläche
sich durch Ausstrahlung stark abkühlen kann, während das Emissionsvermögen
der trockenen, nebelfreien Luft, d. h. der Luft im Trockenstadium, hierfür nicht
hinreicht. Auch ist bei Abwesenheit von Wolken nicht einzusehen, weshalb
sich die Abkühlung durch Ausstrahlung nur oder wenigstens vorzugsweise auf
die obersten Schichten beschränken sollte. Wolkendecken finden sich aber
gewöhnlich nur im Cyklonalgebiete, und dort fehlt wieder die zur Entstehung
labilen Gleichgewichtes erforderliche Windstille. Dagegen kann die Ausstrahlung
von der oberen Begrenzungsfläche der Wolken sehr wohl die „Gleichgewichts-
störung“ in der Cyklone vermehren, besonders über dem Meere, das in den
Zeiten überwiegender Ausstrahlung verhältniksmäfßig wärm ist. Es dürfte viel-
leicht mit einer der Gründe sein, welche die Verstärkung der stürmischen
Winde während der kalten Tages- und Jahreszeit besonders über den Meeren
bedingen. Auch die 'Thatsache, dass die Cyklonen im Winter vorzugsweise den
Meeren nachziehen und sich in dieser Jahreszeit zu besonderer Tiefe entwickeln,
scheint damit in Zusammenhang zu stehen,
Die dritte Art endlich, d. i. das labile Gleichgewicht infolge verzögerter
Aenderung des Aggregatzustandes, kann sowohl über dem Meere als über dem
Festlande vorkommen. Für das Auftreten übersättigten Dampfes wird das Meer
günstiger sein, da dort weniger Staub vorhanden ist, und within die zur
Kondensation unentbehrlichen Nebelkerne nicht so reichlich zu Gebote stehen,
als über dem Festlande. Besonders die tropischen Meere mit ihren hohen
Temperaturen und ihrer gewaltigen Verdunstung müssen die Bildung über-
sättigten Dampfes wesentlich begünstigen. Labiles Gleichgewicht infolge über-
kalteter Nebelkörperchen ist sowohl über dem Meere als über dem Festlande
denkbar. Aus dem eben Gesagten geht hervor, dafs sich die Entstehung labilen
Gleichgewichtes und damit das Auftreten eines starken aufsteigenden Luftstromes
auf sehr verschiedene Weisen erklären läfst. Die Gewitter aber, welche diesen
verschiedenen Arten labilen Gleichgewichts ihren Ursprung verdanken, müssen
eine ganz verschiedene tägliche Periode besitzen. Inwiefern endlich Gewitter
}
„Amer. Met. Journ.“, Vol. VI, S. 420 ff., 1890.