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Full text: Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie, 23 (1895)

184 Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, Mai 1895. 
langdauernden Kälte auf den Luftschiffer ein: er zitterte an allen Gliedern, so 
dafs er sich zeitweise festhalten mufste. 
Nördlich der Elbe hatte alles Land schlechtes Wetter: geschlossen lagen 
in immenser Tiefe die Wolken, die Erde vollständig verdeckend, so da[s jede 
Orientirung unmöglich wurde, 
In langsamen Wellen ging es nun hinunter, unter immer neuem Ziehen 
des Ventils, da der „Phönix“, nachdem er 500 oder 1000 m gefallen, immer 
wieder zu steigen begann. So ungewöhnlich gemäfsigt war der Fall, dafs von 
9000 m Höhe bis in die Nähe der Erdoberfläche nur ein einziger Sack Ballast 
geopfert werden mulfste, als in 3500 m der Fall zu schnell zu werden drohte. 
Der lang dauernde Abstieg gestattete es, im Heruntergehen eine voll- 
ständige zweite Reihe von Ablesungen auszuführen, was bei Hochfahrten bisher 
selten möglich war; sie ergaben ein genaues Spiegelbild der beim Aufsteigen 
gewonnenen. Um 3 Uhr war der Luftschiffer noch 2800 m hoch und hatte die 
Erde seit zwei Stunden nicht gesehen. „Ich lasse den Blick nach Norden schweifen: 
Wolken unten über der Erde, so weit er. schweifen kann, doch scheint im fernen 
Norden die Farbe des Himmels anders zu werden. Ist das »Wasserhimmel«? Der 
Ballon fällt mir zu langsam — ich denke an die Ostsee und ziehe jetzt das Ventil 
wiederholt, um ihn rascher herunterzubringen; durch die Wolken dringt schwaches 
Hundegebell herauf. — Jetzt geht es schneller herab, es wird warm, sehr warm: 
in 1400 m lese ich + 5,6° ab, nach den — 48° oben allerdings eine beinahe 
unausstehliche Hitze.!) Näher und näher kommt das geschlossene Wolkenmeer 
unter mir — dann schiefsen einzelne Wolkenköpfe scheinbar rapide empor, 
ich setze in einem Wellenthal des Nebeloceans auf, der »Phönix« stoppt, wie 
gewöhnlich an der Wolkenoberfläche, jäh im Fallen ab und begiunt zu schwimmen. 
— Ich habe indessen, zwischen Ablesungen und orientirenden Blicken zum Ballon 
und zu den Wolken unter mir, einen Apparat nach dem anderen verpackt; nur 
die Hauptinstrumente: Barograph, Aneroid, Psychrometer bleiben noch zum 
Gebrauche aufgehängt. Den Sauerstoff lasse ich jetzt herauspfeifen, wobei ich 
mich überzeuge, dafs noch ein grofses Quantum zurückgeblieben. KEin Aufprall 
auf die harte Erde mit der Stahlflasche, in der noch vielleicht 100 Atmosphären 
Spannung, könnte gefährlich werden.“ 
Um 3" 30”, als der „Phönix“ noch in nur 500 m über dem Boden auf 
der Oberfläche der Wolkenschicht schwamm, verpackte Herr Berson die letzten 
Instrumente, während er die Dampfpfeifen und das Geräusch einer grofsen Stadt 
unter sich hörte; als diese passirt war, hing er sich an die Leine des Manövrir- 
ventils, bis der dicke weiße Nebel ihn rings umgab; nicht einmal der große 
Körper des Ballons war zu sehen, In 250 m erst erschien plötzlich die graue 
Erde, auf der es schon leicht zu dunkeln anfing; der Schleppgurt tauchte in 
einen kleinen See, worauf der Ballon zu fallen aufhörte und in etwa 150 m 
Höhe über dem Meeresspiegel dahinflog. Ein Sack Ballast wurde herausgeworfen, 
um ein geeignetes Terrain zum Landen aufzusuchen, Hinter einem gröfseren 
Gehöft zeigten sich Feld und weite Haide — also rasch das grofse Hauptventil 
auf! Mit Hülfe herbeieilender Landbewohner, die den Schleppgurt und zuletzt den 
Korb packten, landete der Ballon ziemlich leicht und ohne jede Beschädigung 
der Instrumente um 3 Uhr 45 Minuten auf einem Sturzacker. Nun erfuhr Herr 
Berson zu seinem Erstaunen, dafs er bereits Holstein überflogen und sich in 
Schönwohld westlich von Kiel befand; das war die große Stadt mit Dampf- 
pfeifen gewesen, und sein Mifstrauen wegen des Wasserhimmels im Norden voll- 
auf berechtigt. 
Ganz gleichzeitig, nach vereinbartem Plane, mit dieser Fahrt des „Phönix“ 
wurde eine mit dem Ballon „Majestic“ durch Dr. Süring und Herrn Alexander 
ausgeführt, die bis 3400 m Höhe ging. Der Aufstieg fand um 10" 17” in Berlin, 
der Abstieg um 3" 47” in Mecklenburg statt. Die zusammenfassende Bearbeitung 
der wissenschaftlichen Resultate dieser beiden Fahrten ist im Gange. Vorläufig 
sind als wichtigste Ergebnisse der Fahrt des „Phönix“ folgende anzuführen: 
i. Die Erreichung einer größeren Höhe — 9150 m über der See — als 
bisher je ein Forscher in bewufßstem Zustande erreicht hatte. Die letzte Ablesung, 
die Glaisher am 5. September 1862 vor seiner tiefen Ohnmacht machte, ergiebt 
\ Von da bis zur Erde wurde es wieder um 5° kälter.
	        
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