Ballonfahrten in die Region der Cirruswolken.
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Mafsregeln, die getroffen wurden, um die Leistungsfähigkeit des Luftschiffers zu
erhalten; der 200 m lange, 82 kg schwere „Schleppgurt‘“ wurde bereits vor Beginn
der Fahrt auf dem Felde ausgelegt, um nicht durch die Arbeit des Herunter-
lassens seine Kräfte schon im Anfange stark anzugreifen; die Aufhängung sämmt-
licher Instrumente und Geräthe wurde möglichst derart getroffen, um auch bei
starker Erschöpfung in grofsen Höhen die gleichzeitige Beherrschung des Ballons
und Wahrnehmung der wissenschaftlichen Beobachtungen zu gestatten; endlich,
was vielleicht das Wichtigste war, wurde dafür gesorgt, dafe der Luftschiffer
eine achtstündige Nachtruhe hinter sich habe, indem ihm die Vorbereitungen zur
Fahrt durch Öffiziere der Luftschiffer-Abtheilung abgenommen wurden. Diese
Vorsichtsmaflsregeln bewährten sich auf der Fahrt vortrefflich, und es wurde
Herrn Berson klar, dafs die Schlafsucht, welche ihn bei der erwähnten Maifahrt
und in einer anderen Fahrt sogar schon in 5400 m Höhe befiel, dem zuzuschreiben
war, dafs er sich der dünnen kalten Luft in einem infolge der Vorbereitungen
und langen Wachens ermüdeten Zustande ausgesetzt hatte.
Der Aufstieg fand am 4. Dezember 10 Uhr 28 Minuten früh von einem
freien Terrain bei Leopoldshall-Stafsfurt statt. Das Wetter war sonnig, jedoch
dunstig; hoch oben am Himmel sah es sehr unrein und „cirrös‘ aus; am Erd-
boden wehte leichter SE bei einer Temperatur von 0°. Der Ballon stieg rasch
empor und war nach einer Viertelstunde bereits 2000 m hoch. Bis 1500 m hatte
die Temperatur auf fast + 6° zugenommen, von nun an sank sie. Eine Stunde
nach der Abfahrt wurden, unter fortwährend abwechselndem Beobachten und Aus-
werfen von Ballast, 5000 m erreicht, wo die Temperatur — 17,5° und die Luft
sehr trocken war. Ein leichtes Herzklopfen stellt sich ein. Bei 6000 m sinkt
das Thermometer auf — 25,5° und zeigt auch die rufßsgeschwärzte Kugel des
Aktinometers nur 0° — der aus unsichtbar feinen Eisnadeln bestehende Dunst
schwächt die sonst in diesen Höhen so mächtige Insolation ab. Bei der Wind-
stille, die in dem mit der Luft frei fliegenden Ballon ja herrscht, schützt den
Luftschiffer jedoch sein Schafpelz noch ausreichend gegen die Kälte. Um 12 Uhr
in 6700 m Höhe angelangt (Thermometer — 29°, Hygrometer 28% 0), begann
Herr Berson mit der Sauerstoff-Athmung, die vorzügliche Wirkung that. Unter
fortwährendem Abschneiden von Ballastsäcken stieg er nun so schnell, daß er
um 12% 25" 8000 m überstieg, bei — 39° C. Von jetzt an durfte er das Mund-
stück des Schlauches, der ihm den Sauerstoff zuführte, nicht auf mehr als ein
paar Sekunden aufgeben, ohne Schwindel und gefährliches Nachlassen der Kräfte
zu empfinden. . Ein einziges Mal fielen ihm die Augen zu; er rüttelte sich mit
lauten Scheltworten auf, die eigenthümlich dumpf in der dünnen Luft schallten.
Bei 8700 m tauchte der Ballon in die verwaschenen Cirruswolken ein, die
seit dem Morgen sich am Himmel gezeigt hatten. Das Thermometer zeigte
—43,7° C. Zu seiner Ueberraschung fand Herr Berson diese Wolken nicht
aus Eisnadeln, sondern aus wohlgebildeten kleinen Schneeflocken bestehend, die
ziemlich dicht um ihn herumwirbelten. Bei über 9000 m ist die Wolke über-
wunden, doch erscheint der Himmel darüber nicht in jenem tiefen Blau, das
häufig schon in’ 3000 bis 4000 m Höhe zu bewundern ist, sondern mattblau,
offenbar schweben in noch gröfseren Höhen feine, dem Auge nicht erkennbare
Dunstmassen, Um 12 49”, also 2'/ Stunden nach Verlassen des Erdbodens,
schwebt der Ballon in 9150 m Höhe (wahre Seehöhe), bei — 47,9° Lufttemperatur;
selbst das Strahlungs-Thermometer zeigt in voller Sonne nur — 23,8°1), und
auch das Quecksilber im Barometer ist auf — 29° abgekühlt.
Trotz guten Wohlbefindens mufste der Luftschiffer nun sich zum Absteigen
entschliefsen, da er nur noch sechs grofse und einen kleinen Sack Ballast hatte,
welche er zur Sicherung des Abstiegs und des Landens nothwendig brauchte.
Als der „Phönix“, nach langsamem Sinken, wieder auf die Höhe von 9100 m
gestiegen und nochmals die Temperatur — 47° abgelesen war, zog Herr Berson
das kleine Manövrirventil. In 8500 m schwebend, überflog der Ballon bei Dömitz
die Elbe, aus SSW nach NNE fliegend. Nun stellte sich auch die Wirkung der
1) Diese schwache Insolation, welche sehr absticht von den gewöhnlich im Luftballon in
grofsen Höhen getroffenen Verhältnissen, mufste natürlich die Kälte für den menschlichen Körper
um so viel empfindlicher machen.