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Full text: Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie, 23 (1895)

Ballonfahrten in die Region der Cirruswolken. 
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Mafsregeln, die getroffen wurden, um die Leistungsfähigkeit des Luftschiffers zu 
erhalten; der 200 m lange, 82 kg schwere „Schleppgurt‘“ wurde bereits vor Beginn 
der Fahrt auf dem Felde ausgelegt, um nicht durch die Arbeit des Herunter- 
lassens seine Kräfte schon im Anfange stark anzugreifen; die Aufhängung sämmt- 
licher Instrumente und Geräthe wurde möglichst derart getroffen, um auch bei 
starker Erschöpfung in grofsen Höhen die gleichzeitige Beherrschung des Ballons 
und Wahrnehmung der wissenschaftlichen Beobachtungen zu gestatten; endlich, 
was vielleicht das Wichtigste war, wurde dafür gesorgt, dafe der Luftschiffer 
eine achtstündige Nachtruhe hinter sich habe, indem ihm die Vorbereitungen zur 
Fahrt durch Öffiziere der Luftschiffer-Abtheilung abgenommen wurden. Diese 
Vorsichtsmaflsregeln bewährten sich auf der Fahrt vortrefflich, und es wurde 
Herrn Berson klar, dafs die Schlafsucht, welche ihn bei der erwähnten Maifahrt 
und in einer anderen Fahrt sogar schon in 5400 m Höhe befiel, dem zuzuschreiben 
war, dafs er sich der dünnen kalten Luft in einem infolge der Vorbereitungen 
und langen Wachens ermüdeten Zustande ausgesetzt hatte. 
Der Aufstieg fand am 4. Dezember 10 Uhr 28 Minuten früh von einem 
freien Terrain bei Leopoldshall-Stafsfurt statt. Das Wetter war sonnig, jedoch 
dunstig; hoch oben am Himmel sah es sehr unrein und „cirrös‘ aus; am Erd- 
boden wehte leichter SE bei einer Temperatur von 0°. Der Ballon stieg rasch 
empor und war nach einer Viertelstunde bereits 2000 m hoch. Bis 1500 m hatte 
die Temperatur auf fast + 6° zugenommen, von nun an sank sie. Eine Stunde 
nach der Abfahrt wurden, unter fortwährend abwechselndem Beobachten und Aus- 
werfen von Ballast, 5000 m erreicht, wo die Temperatur — 17,5° und die Luft 
sehr trocken war. Ein leichtes Herzklopfen stellt sich ein. Bei 6000 m sinkt 
das Thermometer auf — 25,5° und zeigt auch die rufßsgeschwärzte Kugel des 
Aktinometers nur 0° — der aus unsichtbar feinen Eisnadeln bestehende Dunst 
schwächt die sonst in diesen Höhen so mächtige Insolation ab. Bei der Wind- 
stille, die in dem mit der Luft frei fliegenden Ballon ja herrscht, schützt den 
Luftschiffer jedoch sein Schafpelz noch ausreichend gegen die Kälte. Um 12 Uhr 
in 6700 m Höhe angelangt (Thermometer — 29°, Hygrometer 28% 0), begann 
Herr Berson mit der Sauerstoff-Athmung, die vorzügliche Wirkung that. Unter 
fortwährendem Abschneiden von Ballastsäcken stieg er nun so schnell, daß er 
um 12% 25" 8000 m überstieg, bei — 39° C. Von jetzt an durfte er das Mund- 
stück des Schlauches, der ihm den Sauerstoff zuführte, nicht auf mehr als ein 
paar Sekunden aufgeben, ohne Schwindel und gefährliches Nachlassen der Kräfte 
zu empfinden. . Ein einziges Mal fielen ihm die Augen zu; er rüttelte sich mit 
lauten Scheltworten auf, die eigenthümlich dumpf in der dünnen Luft schallten. 
Bei 8700 m tauchte der Ballon in die verwaschenen Cirruswolken ein, die 
seit dem Morgen sich am Himmel gezeigt hatten. Das Thermometer zeigte 
—43,7° C. Zu seiner Ueberraschung fand Herr Berson diese Wolken nicht 
aus Eisnadeln, sondern aus wohlgebildeten kleinen Schneeflocken bestehend, die 
ziemlich dicht um ihn herumwirbelten. Bei über 9000 m ist die Wolke über- 
wunden, doch erscheint der Himmel darüber nicht in jenem tiefen Blau, das 
häufig schon in’ 3000 bis 4000 m Höhe zu bewundern ist, sondern mattblau, 
offenbar schweben in noch gröfseren Höhen feine, dem Auge nicht erkennbare 
Dunstmassen, Um 12 49”, also 2'/ Stunden nach Verlassen des Erdbodens, 
schwebt der Ballon in 9150 m Höhe (wahre Seehöhe), bei — 47,9° Lufttemperatur; 
selbst das Strahlungs-Thermometer zeigt in voller Sonne nur — 23,8°1), und 
auch das Quecksilber im Barometer ist auf — 29° abgekühlt. 
Trotz guten Wohlbefindens mufste der Luftschiffer nun sich zum Absteigen 
entschliefsen, da er nur noch sechs grofse und einen kleinen Sack Ballast hatte, 
welche er zur Sicherung des Abstiegs und des Landens nothwendig brauchte. 
Als der „Phönix“, nach langsamem Sinken, wieder auf die Höhe von 9100 m 
gestiegen und nochmals die Temperatur — 47° abgelesen war, zog Herr Berson 
das kleine Manövrirventil. In 8500 m schwebend, überflog der Ballon bei Dömitz 
die Elbe, aus SSW nach NNE fliegend. Nun stellte sich auch die Wirkung der 
1) Diese schwache Insolation, welche sehr absticht von den gewöhnlich im Luftballon in 
grofsen Höhen getroffenen Verhältnissen, mufste natürlich die Kälte für den menschlichen Körper 
um so viel empfindlicher machen.
	        
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