Köppen: Der Sturm vom 22, Dezember 1894,
99
geschlagen, und es war schließlich nicht mehr möglich, bei dem „Lord Temple-
more“ zu bleiben, da der Schlepper die gröfste Gefahr lief, vollzuschlagen. Er
überliefs daher das Schiff seinem Schicksal und lief am Sonntag Abend in Geeste-
münde ein. Am Montag Abend war Kapt. Boumann mit seinem Schlepper
bereits wieder unter Sylt, um sich dem „Lord Templemore“, welcher dort vor
Anker gegangen war, aufs Neue zur Verfügung zu stellen, konnte das Schiff
jedoch nicht mehr finden und lief dann nach Cuxhaven ein, wohin der Viermaster
bereits von dem hamburgischen Schlepper „Atlas“ eingeschleppt worden war.
Da’ der „Lord Templemore“, ein Schiff von 4000 Tonnen "Vragfähigkeit, nur
700 Tonnen Ballast gehabt haben soll, ist zu verwundern, dafs derselbe den
Orkan glücklich abgewettert hat.
Bedeutend weiter nördlich, wahrscheinlich in ziemlicher Nähe des Wirbel-
centrums, ging der dänische Dampfer „Alexander IIL“ unter, der auf der Reise
von Riga nach Antwerpen im Skagerrak von einem „orkanähnlichen Südwest-
sturm‘“ überfallen wurde, und dessen Besatzung, nachdem der Dampfer gekentert
war, 22 Stunden lang in einem Boote trieb, bis sie vom Horns-Riff-Feuerschiff
aus gesehen und gerettet wurde. Nach einem Bericht in der „Hansa‘“ vom
9. März hatte der Dampfer um Mitternacht vom 20. zum 21. Dezember Bovbjerg
passirt; der Wind wehte am folgenden Tage schwer aus SSW und sprang dann
ım 6'/2 Uhr abends plötzlich nach NW um, zum Orkan anwachsend. Zwischen
1% und 4* a des 23. Dezember erreichte der Orkan seine volle Höhe. Um 7 Uhr
nahm der Dampfer eine Sturzsee über, welche die Boote füllte und die Deckslast
nebst den Ventilatoren des hinteren Laderaums losrifs. Bald darauf ist der
Dampfer gekentert.
Schon während das Minimum über Schottland hinzog, frischte der Wind
an der deutschen Nordseeküste“auf; er erreichte am 22. auf Borkum um 5 Uhr
früh, in Keitum um 6 Uhr, in Wilhelmshaven um 7 Uhr und in Hamburg um
9 Uhr morgens stürmische Stärke. Bis 9 Uhr abends blieb sodann in Hamburg
seine Zunahme ungefähr parallel jener in Borkum und Wilhelmshaven; von da
an nahm aber die Windgeschwindigkeit in Hamburg ab, während sie an den
beiden westlichen Stationen weiter stieg und erst nach Mitternacht auf ihren
Höhepunkt stieg. Demgemäfs erreichte der Wind in Hamburg bei Weitem nicht
die Stärke, die er auf Borkum und besonders, den Wirkungen nach zu schliefsen,
auf der offenen Nordsee hatte. Die gröfste in Hamburg als Mittel einer Stunde
in diesem Sturm gemessene Windgeschwindigkeit betrug nur 22,4 m in der Sekunde
und bot nichts Aufsergewöhnliches; auch in Wilhelmshaven war sie mit 26 m per
Sekunde noch nicht sehr bemerkenswerth; auf Borkum wurden jedoch 36 m per
Sekunde gemessen, also dieselbe Gröfse, wie die höchste Windstärke in Hamburg
am 12. Februar v. J. Allerdings ist zu beachten, dals das Anemometer von
Borkum auf dem alten Leuchtthurm viel höher und freier steht als die der
anderen Stationen und im Durchschnitt aller Tage im Verhältnifs von 7 zu 5
größere Windgeschwindigkeiten giebt als das Hamburger (vgl. die Monatstabellen
in diesen Annalen). Gerade für die gröfsten Geschwindigkeiten ist indessen der
Unterschied in der Regel geringer.
Die Tabelle auf Seite 100 giebt die Richtung und Geschwindigkeit des Windes
nach den Anemometern der Seewarte für jede zweite Stunde an. Die Zahlen
derselben sind, wie üblich, verdreifachte Geschwindigkeiten der Schalenmitten
des Anemometers in Metern pro Sekunde, ebenso wie auch die oben gegebenen
Zahlen von englischen Stationen. Sie sind also, bei grofsen Geschwindigkeiten,
alle etwas höher als die wirklichen stündlichen Mittel der Windgeschwindigkeit
im Niveau der betreffenden Anemometer (vgl. diese Annalen 1894, Seite 89).
Ein auffallendes Zeugnifs für die Stärke dieses Sturmes bieten die Nach-
richten über den Transport von Salzwasserstaub weit ins Land hinein.
Eine ganze Anzahl solcher Angaben aus England sind in Symons’s „Monthly
Meteorological Magazine“ vom Januar 1895 gesammelt. Danach wurde am
23. Dezember bis nach Birmingham, Burton, Wakefield und Masham hin, also
bis in Entfernungen von 88 bis 105 km vom nächsten Punkte der Westküste,
an vielen Orten auf allen Gegenständen im . Freien eine stark Ssalzhaltige
Flüssigkeit gefunden, deren chemische Zusammensetzung ungefähr der des See-
wassers entsprach.