Köppen: Der Sturm vöm 22, Dezember 1894,
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südlich von sich lassen und an seiner Südseite sehr steile Gradienten und. heftige
Winde mit sich führen werde, so war die Warnung angezeigt; da zudem, wie
sich nachträglich erweist, Belmullet am Abend des 21. die einzige Station auf
den Britischen Inseln mit stürmischem Winde war, so geschah die Warnung 8o
früh, als sie irgend mit Aussicht auf Erfolg geschehen konnte. Am folgenden
Morgen war aber bereits der Sturm so heftig über den Nordwesten der. Britischen
Inseln hereingebrochen, dafs die Telegramme aus dem ganzen Norden derselben
wegen Störung der oberirdischen Linien ausblieben, und wir nur einer freund-
lichen nachträglichen Mittheilung der ergänzten Wetterberichte von Seiten des
Londoner meteorologischen Amts auf Ersuchen der Seewarte die. Möglichkeit
verdanken, in den unten folgenden Kärtchen die interessanten meteorologischen
Verhältnisse dieser beiden Tage exakt darzustellen.
Wie man sieht, wurde am Morgen des 22. zu Malin Head an der Nord-
küste von Irland NW 12, zu Donaghadee WNW 11 notirt, ferner zu Stornoway
Nord 10, Belmullet NW 10, Holyhead
West 10, während an der Ostküste von
Großbritannien die Stärke 8 noch nicht
überschritten war. Am Abend des 22.
dagegen meldete Aberdeen NW 10 und
North Foreland West 9, während andere
Orte der Ostküste allerdings auch jetzt
nur Windstärken 3 bis 8 hatten.
An der deutschen Nordseeküste
und am Helder war um 2* p der Wind
zwar auf Stärke 9 angewachsen, aber
noch immer SW. Da indessen nach
dem Fortgange des ganzen Phänomens
zein Umgehen nach NW und weiteres
Anwachsen vorauszusehen wär, SO
wurde um 4!/2* p zur Verstärkung der
am vorhergehenden Abend abgegebenen
Sturmwarnung folgendes Telegramm an
die Signalstellen von Borkum bis Rügen
gesandt: „Sehr tiefes Minimum an süd-
norwegischer Küste. Deutsche Nordsee Südweststurm, Swinemünde Südsturm.,
Signal‘ Südweststurm rechtdrehend.“ In der That ging der Sturm an diesem
Abend auf Borkum um 8°p, in Keitum und Kiel um 10* p, in Wilhelmshaven
um Mitternacht, in Hamburg um 4 Uhr und in Wustrow um 5 Uhr nachts
nördlich von West, und erreichte er seine gröfste Stärke an‘ den ersten vier
Stationen erst nach diesem Umgehen, nämlich auf Borkum und in Wilhelmshaven
am 1 Uhr nachts und in Keitum erst um 6 Uhr früh; in Hamburg dagegen hat
der Sturm nach 9 Uhr abends nicht mehr zugenommen; hier erreichte er über-
haupt nur eine sehr mäßige Stärke, die in gar keinem Verhältnifs stand zu den
Verwüstungen auf der Nordsee und den Britischen Inseln und zu der Höhe der
Sturmfluth.. Der Sturmwirbel nahm eben während seiner Fortpflanzung nach
Osten rasch an Intensität ab, so dafs er auf der Ostsee keinen erheblichen Schaden
mehr gethan und in der Nacht vom 23. zum 24. sich bis auf einen kaum er-
kennbaren Rest in Livland aufgelöst hat (vgl. Fig. 5). | |
Ueber den Ursprung des Sturmwirbels läfst sich noch nichts Zuverlässiges
sayen; da Beobachtungen vom Ocean im Westen und Nordwesten von Schottland
{ehlen. Auf der Washingtoner „Pilot Chart“ für Januar ist er mit einem Wirbel
in Verbindung gebracht, der am 18. Dezember nördlich von Haiti sich. zuerst
gezeigt und am 21. in 50° N-Br und 31° W-Lg gelegen haben soll; es würde
dies die aufserordentliche Fortpflanzungs-Geschwindigkeit von 1200Sm in 20Stunden
oder 2666 km in 24 Stunden bedingen. Auf der „Pilot Chart“ für Februar ist
dagegen unser Wirbel aus einer Kichtung abgeleitet, die etwa zur Südspitze
Grönlands weist, und ist er am 21. Februar nach 57° N-Br und 24° W-Lg gelegt.
Da Beobachtungen von Schiffen, die Nord um Schottland gingen, aus dieser Zeit
auch an der Seewarte nicht vorliegen, so müssen wir die Entscheidung der Frage
bis zum Bekanntwerden der Aufzeichnungen der dänischen Stationen auf den
.Faröern, Island und Grönland hinausschieben,
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