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Full text: Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie, 22 (1894)

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Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, März 1894. 
lichkeit fuhr der Zeiger am Druckmesser der Seewarte in den Stöfßsen bis über 
150 kg pro Quadratmeter hinaus, und da in diesen Stöfsen der Apparat etwas 
über seine neue Gleichgewichtslage hinaus pendelt — je plötzlicher der Stofs, 
um so mehr‘) — so sind beide Berechnungen mit dieser Beobachtung vereinbar, 
die erstere wohl noch mehr als die zweite, weil der Apparat seiner Konstruktion 
nach nicht weit über 150 gehen kann, und diese Grenze häufig erreicht wurde. 
Man mufs also Maximaldrucke von 150 bis 200 kg auf das Quadratmeter einer 
dem Winde rechtwinklig exponirten Fläche in diesem Sturme annehmen; doch 
bleibt die Unsicherheit eine sehr grofse, weil man die für Oberflächen von etwa 
1 Quadratfuls und Geschwindigkeiten von 1 bis 20 m bestimmten Verhältnifs- 
zahlen nur mit grofser Vorsicht auf andere Flächen und so grofse Windstärken 
anwenden darf, Haben doch die Untersuchungen von Schellbach und Thiesen 
sogar die alte Newton’sche Lehre von‘ der Proportionalität des Druckes mit 
der zweiten Potenz der Geschwindigkeit erschüttert und ein noch rascheres 
Wachsen des Druckes wahrscheinlich gemacht. . 
Nach alledem kann man sich nur wundern, dafs nicht noch mehr Fenster- 
scheiben dem gewaltigen Drucke dieses Sturmes nachgegeben haben und dafs 
beispielsweise die ihm so frei exponirten Fensterscheiben der Seewarte, bis auf 
eine einzige, ihm Stand gehalten haben. Die Scheiben an der Südwestseite des 
Gebäudes wurden vom Winde unter einem Winkel von 70 bis 50 Grad getroffen. 
Das eben erwähnte Pendeln bewirkt es, dafs häufig in einigem Windschutz 
stehende Gegenstände, die der Wind nur in gelegentlichen Stößen mit voller 
Wucht trifft, mehr leiden als solche, die ihm ganz frei ausgesetzt sind. 
Eine Wahrnehmung, die ein interessantes Licht auf die noch so wenig 
bekannte „Struktur des Windes“ wirft — d. h. auf die Bewegung der einzelnen 
Lufttheilchen in der stofsenden und wirbelnden Bewegung des Luftstroms —, 
konnte vom Thurm der Seewarte aus gemacht werden. Da die Richtung des 
Windes unveränderlich WSW war, so konnte man die gewaltigen Windstölßse 
über eine lange Strecke auf der hochgestauten Wasserfläche der Elbe durch den 
glänzend weifßsen Gischt, den sie mit sich durch die Luft führten, auf ihrem Her- 
wege verfolgen. Es zeigte sich, dafs eine Anzahl der schwersten Windstöfße 
zwischen 11 und 12 Uhr gerade 60 Sekunden gebrauchten, um von den letzten 
Dukdalben bei der Mündung des Köhlbrand bis zur Seewarte zu gelangen; da 
die Entfernung fast 2000 m beträgt, so pflanzten sie sich also mit einer Ge- 
schwindigkeit von 33 m in der Sekunde fort, also mit nahezu derselben, die wir 
oben für die Luft in ihnen fanden — denn es waren dies immerhin noch nicht 
die allerschwersten Stöße. Wir seheu also, dafs die Luftmasse in diesen Böen sich 
wie ein Projektil ohne erkennbare Wirbelung, und nicht etwa wie ein Rad auf 
horizontaler Achse, fortbewegte. Das Schauspiel der aufgeregten Wasserwüste, in 
der die kleinen Dampfbarkassen unentwegt gegen den Sturm arbeiteten, Spring- 
brunnen vor sich aufwerfend, in denen sie verschwanden, war übrigens ein höchst 
grofsartiges. 
Bald nach 12 Uhr wurde das Haupt-Anemometer der Seewarte durch Weg- 
reißen zweier Schalen des Schalenkreuzes unbrauchbar; das danebenstehende 
Reserve-Anemometer blieb jedoch unversehrt. 
Bemerkenswerth war das Verhalten des Barometers in diesem Sturm. 
Nachdem es sich am Donnerstag von seinem niedrigen Stande beim Mittwochs- 
sturm erholt hatte, fiel es am Freitag stark, blieb dann am Sonnabend und Sonntag 
auf einem sehr niedrigen Stande zwischen 740 und 749, fiel darauf während des 
Sturmes in der Nacht zum Montag rasch auf 734, welchen Stand es um 4 Uhr 
früh erreichte, um dann bis 1 Uhr nachmittags fast stationär zu bleiben (734 
bis 732) und dann wieder zuerst schnell, später langsam zu steigen. Diese Be- 
wegungslosigkeit des Barometers während 9 Stunden im gröfsten Sturm hing 
offenbar damit zusammen, dafs die große Depression, an deren Südrand wir uns 
befanden, und die sich von West nach Ost fortbewegte, in der Richtung ihrer 
Bahn gestreckt war, so daß wir uns in ihrem inneren Theile längere Zeit hindurch 
') Bei ganz plötzlichem Eintritt des Druckes geht der Ausschlag, wie einige Versuche er- 
geben haben, um 420g über die neue Gleichgewichtslage hinaus, d. h. bei momentaner Steigerung 
des Druckes von 0 auf 100 kg schlägt der Apparat zuerst aus bis 142 kg. So plötzlich ist aber 
der Eintritt des Winddrucks niemals.
	        
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