Möller: Der mathematische Ausdruck für den Widerstand der Luftbewegung. 63
Einzelne Hydrotekten haben wohl in jene Formel die mittlere Wassergeschwindig-
keit eingesetzt; sie gelangen alsdann zu ganz verkehrten Ergebnissen. Man hat
sich wie folgt auszudrücken: Wenn in einem Flufß, dessen Sohle z. B. aus Kies
von gegebener Beschaffenheit besteht, in 1m Höhe über der Sohle die Wasser-
yeschwindigkeit v sich vorfindet, dann ist die an einem Quadratmeter der Grund-
Aäche der Sohle angreifende Reibung R==uv®; z. B. wird R bei Strömen wie
der Rhein bei Kehl Werthe bis zu 8 und 10 kg im Mittel, und zwar bei höheren
Wasserständen zeigen.
Für die Luft bestehen fast genau dieselben Gesetze. Wir haben es hier
aber nicht mit einem Strom beschränkter Tiefe zu thun, sondern mit einer
Strömung, welche nach oben hin sich allmählich der Wirkung der Reibung ent-
zieht, so dafs die Masse, welche da über den Erdboden hin gleitet, keine be-
stimmten Werthe besitzt. -
Die Formel R==av?, welche sich nur auf die in der untersten Schicht
sich beziehenden Vorgänge bezieht, hat aber dennoch allgemeine Gültigkeit;
ebenso wie bei der Wasserbewegung bietet dieselbe auch hier nur einen Au-
näherungswerth. Der Werth a ist auch wieder von der Dichte der Flüssigkeit
und der Rauhigkeit der Sohle abhängig. Die Windgeschwindigkeit v ist in einer
Höhe zu messen, über deren Wahl Vereinbarungen erforderlich sind. Zwischen
den Rauhigkeitsvorsprüngen ist nämlich die Bewegung der untersten Schicht so
unregelmäßig, dal hier Messungen unthunlich sind. Die Messungen müssen in
einer gewissen Höhe über den höchsten Häusern, Bäumen oder anderen Hinder-
nissen der Umgebung vorgenommen werden. ;
Die Meteorologie hat sich meines Wissens mit der Bestimmung des Werthes
R = a v? praktisch noch niemals beschäftigt. Nach meinen Seite 251 der Verhandl.
d. Ver. zur Beförderung des Gewerbfleifses, Jahrg. 1890, durchgeführten Berechnungen
ergiebt sich im Mittel für die Ebene bei 10 m Windgeschwindigkeit pro Quadrat-
meter Grundfläche R= 1/5 kg. Nach Umständen fällt der Werth a und mithin
auch R sehr verschieden aus, je nachdem Wasser, Grasland, Wald oder bebautes
Stadtgebiet vorliegt. Wir wissen über die Gröfse des Werthes a oder R fast
nichts, und doch wird sich die Kenntnifs dieses Werthes als für die Wissenschaft
von Bedeutung erweisen. Die Kenntnifs dieser Gröfse wird dazu verhelfen,
manche Irrthümer hinwegzuräumen, z. B. dazu führen, die außerordentliche Be-
deutung der Reibung und die Wirkung der Vertheilung von Wasser und Land
in der Meteorologie richtig zu würdigen.
Was man in der Meteorologie bisher gemessen hat, war nur die Wirkung
der Reibung, „die Verzögerung der bewegten Luftsäule“ durch die Reibung.
Nun ist aber die Höhe der Luftsäule, welche durch die Reibung verzögert
wird, von der vertikalen Temperaturvertheilung abhängig. Die Mischung der
Schichten spielt da eine Rolle.!) Nachts, wenn es bei hellem Wetter unten kalt
ist, weht auf der Bergspitze der Wind ungeschwächt weiter, er dringt aber nicht
80 tief in die Ebene hinab, da hier kalte Luft lagert, welche sich mit der oberen
minder erkalteten Luft nicht wohl mischt. Es fehlen dann die Wirbel mit ver-
tikaler Drehebene. Die Luft der Tiefe ist mit dem Erdboden wie verwachsen,
sie ruht, Windstille tritt ein, und das Gleiten findet nun nicht am Erdboden,
sondern in derjenigen Höhenschicht statt, da die Luftschichten am glattesten
übereinänder hinwegstreichen, d. h. dort, wo sich die Schichten in stabilem
Gleichgewicht befinden, keine Wirbel erzeugen, und höchstens Luftwellen von
kleiner Kammhöhe bilden. .
Diese Einwirkung der Temperaturvertheilung ist den Meteorologen bekannt,
sie führt dahin, dafs die Reibung zeitweise, z. B. in hellen Nächten, nur die
untersten Luftschichten beruhigt. In diesem Fall ist die Verzögerung der Luft
durch Reibung, pr genannt, für die unteren Schichten sehr grofs; nicht etwa,
dafs die Reibung alsdann grofs sei; nein, die Masse der Luft, auf welche diese
Reibung einwirkt, ist nur klein, und darum ergiebt der Ausdruck pr 3
hier einen grofsen Werth.
Die Verzögerung der Luft durch Reibung ist also nicht etwa eine nur von
dem Betrage der Reibung abhängige Gröfse, sondern sie wächst aufserdem, wenn
1) Vgl. diese Annalen, 1883, S. 681 bis 637,